PRO
Jedes Land hat seine eigene Kultur und seine eigenständige Sprache, die sich im Laufe der Zeit entwickelt und dabei modernisiert hat.
Bei der Transliteration von Eigennamen aus dem Kyrillischen in die lateinische Schrift muss daher die ursprüngliche Aussprache beibehalten werden. Die Ukraine ist dabei keine Ausnahme.
Es gibt eine ukrainische Ministerialverordnung über die Transliteration des ukrainischen Alphabets in das lateinische (sie stammt vom 27. Januar 2010). Darin wurden einheitliche Regeln erlassen, wie die Transliteration ukrainischer Namen in Sprachen wie Englisch, Deutsch und andere erfolgen soll.
Aber das ist nur die rechtliche Seite der Angelegenheit. Es gibt nämlich auch einen nationalen Teil bei der Sache.
Jeder Ukrainer wird sich darüber freuen, wenn im Ausland die Namen unserer Städte auf ukrainische Art und Weise zu lesen sind und auch so ausgesprochen werden – und nicht so, wie sie man es sich in Russland wünscht oder wie es dort ausgesprochen wird.
Schließlich sind wir alle daran gewöhnt, dass unsere Hauptstadt Kyiv heißt und nicht Kiew, wie man im „Großfürstentum Moskau“ sagt.
Mit dieser Aussprache wird unsere nationale kulturelle Unabhängigkeit bewahrt. Ich bin voll und ganz für die ukrainische Transliteration – die Ukraine kann auf diese Art und Weise ihre kulturelle Unabhängigkeit auf der Weltbühne beweisen.
Ich selbst bin in einer russisch-sprechende Familie geboren und bin in eine russischsprachige Schule gegangen. Die ukrainische Sprache und der ukrainische Geist waren kaum ein Thema, bis 2014 die Attacken Russlands auf die Ukraine begannen. Heute unterstütze ich die vom Ukrainischen abgeleitete Transliteration ukrainischer Ausdrücke.
Karina Danilova ist geflüchtete Ukrainerin und arbeitet für den KURIER.
CONTRA
Die moderne Welt ist voller Chiffren. Wer etwas unterstüzen möchte, fügt einen Hashtag ein (#FreeUkraine zum Beispiel) und wenn jemand gegen das Gute agiert, bekommt er oder sie einen Shitstorm. „Und weiter?“, fragt man sich im Lichte monumentaler Gewaltereignisse wie dem russischen Gemetzel in der Ukraine. Anders gesagt: Unser gewohntes Befindlichkeitsmonitoring („Man müsste endlich einmal ...“) ist angesichts dieser Vorgänge nicht einmal egal, so wurscht ist es.
Wir sprechen gerne davon, dass die Ukraine unser Nachbarstaat sei, europäisch sowieso. Und dennoch kennen sich Herr und Frau Österreicher kaum aus: Wo ist Kiew? Wo der Donbas? Man muss froh sein, wenn man dem Kriegsgeschehen grob nach Himmelsrichtungen folgen kann.
Nun also auch eine neue Schreibweise für Orte etablieren, die wir gerade erst ein wenig für uns entdecken und vor unserem geistigen Auge zuordnen können? Symbolik? Ja. Es hilft der Moral der ohnehin an Moralstärke kaum zu überbietenden Ukrainer, wenn sich auch die österreichische Öffentlichkeit der rein ukrainischen Schreibweise ukrainischer Namen bedienen würde.
Aber änderte es etwas an den Geschehnissen, wenn wir mit „Kyiv“ (das viele womöglich erst googlen müssten) mitfiebern statt mit „Kiew“? Zerstören russische Bomben und Raketen weniger, wenn sie eine von der ukrainischen Schreibweise hergeleitete Stadt treffen?
Alles ist politisch, aber es ist damit nicht automatisch sinnvoll. Österreicherinnen und Österreicher sind mit einem ruckartig überfallenen Land solidarisch. Auch wenn es für die Informationselite schwer vorstellbar ist: Nicht alle Leser haben einen zweisprachigen Atlas im Kopf. Sie wollen im Zweifelsfall einfach nur wissen, worüber sie trauern.
Philipp Wilhelmer leitet die Debatte im KURIER.
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