Sollen wir die WM in Katar boykottieren?

Sollen wir die WM in Katar boykottieren?
Das autoritäre Emirat sorgt als Austragungsort für heftige Debatten

Menschenrechtsverletzungen, Vorwürfe der Zwangsarbeit und ein Kniefall einzelner Fußballverbände sowie der FIFA: Die Fußball-WM in Katar ist überschattet von Vorwürfen und Boykottaufrufen. Soll man sie trotzdem schauen? Es geht ja nur um Fußball. Oder?

PRO

Eines vorweg: Ich verstehe jeden, der die WM in Katar boykottiert. Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, Ausbeutung und Korruption. Die Athleten, die ihr Leben lang von einer WM-Teilnahme träumen und hart dafür trainieren, sind nicht schuld an den Missständen in Katar.

Stattdessen nutzen viele die WM für politische Statements, wie die deutsche Reporterin Claudia Neumann, die mit einem Regenbogen-Shirt ein Spiel im Stadion live kommentierte. Fans, die T-Shirts mit Friedensbotschaften ins Stadion schmuggelten. Die Engländer mit ihrem Kniefall. Oder die iranischen Nationalspieler, die bei ihrer Hymne schwiegen, als Solidarität für die regimekritischen Proteste und die 400 Toten im Heimatland. Lichtblicke, die ich als Journalistin honoriere.

Wenn man sauer sein will, dann auf die FIFA – nicht auf den Fußball. Und ja, Tausende Gastarbeiter sind in den letzten Jahren ums Leben gekommen, doch hoffentlich ändert sich durch den weltweiten Aufschrei nicht nur in Katar etwas. Die Zeit für einen Boykott ist spätestens seit dem Auftaktspiel vorbei. Jetzt sollte der Sport im Mittelpunkt stehen.

Es macht Spaß, die WM-Partien mit meinen Kollegen am Wuzzler vorzuspielen und zu hoffen, dass die Spiele dann genauso enden. Die intensiven Diskussionen über Tore, neue Spieler, verpasste Chancen oder verrückte Frisuren möchte ich nicht missen – dieses Jahr bei Keksen und Punsch. Im Familien-Wettspiel setzte ich fünf Euro auf England und will sehen, wie die „Three Lions“ die nächsten Gegner wegschießen. Die WM erinnert mich an meine Zeit als Fußballerin, an vergangene schöne WM-Momente, alte Starspieler und meinen Lieblings-WM-Song „Wavin’ Flag“. Ich liebe Sport und will keine Fußballspiele boykottieren. In diesem Sinne: Let’s go!

Silvana Strieder arbeitet in der Sportredaktion.

Silvana Strieder

Silvana Strieder.

CONTRA

Sport ist politisch. Das  steht  wohl spätestens  seit dem England-Iran-Spiel fest. Die iranischen Spieler weigerten sich angesichts der Proteste in ihrer Heimat und dem Umgang des  Regimes damit, die Hymne mitzusingen. Fans zeigten sich ebenfalls solidarisch. Banner mit dem Protest-Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ waren nicht zu übersehen. Ein Stück (Sport-)Geschichte.
Doch schon lange davor war die Fußballweltmeisterschaft in Katar ein Politikum. Die Menschenrechte in dem Land, die Bedingungen, unter denen das Stadion gebaut wurde, die Arbeiter, die dafür  mit ihrem Leben zahlten – all das wusste man schon vor dem Auftaktspiel. Denn diskutiert wird darüber seit Monaten. Ein oft genanntes Argument hierbei: Jetzt bei Katar aufzuschreien, ist scheinheilig. Wenn es nach der Moral gehe, hätte man bereits die WM 2018 in Russland boykottieren müssen.

Das ist ein valider Punkt. Aber vielleicht sollte man, statt den Ländern (die natürlich  höchst problematisch sind) hier  die Schuld zu geben, vielmehr die Aufmerksamkeit auf jene Instanzen und Personen lenken, die das überhaupt möglich machen. Denn schließlich war es die FIFA, welche  im Jahr 2010 die Vergabe an Katar und Russland beschloss – und seither  wiederholt im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen steht. Eben dieser  muss man verklickern: Nein, liebe FIFA, dass ihr das zulasst, ist nicht in Ordnung.

Und um das zu erreichen, muss man klare Signale setzen. Der Handelsriese Rewe hat das schon. Dieser hat nach dem Verbot der „One-Love“-Armbinde die  Kooperation mit dem Deutschen Fußball-Bund beendet. Wir können etwas tun, indem wir die WM etwa nicht  anschauen, um die Quoten sinken zu lassen. Auch wenn  der Sport  darunter leidet, der  ist nun mal Teil des Ganzen.

Naz Küçüktekin arbeitet im  Ressort „Mehr Platz“.

Sollen wir die WM in Katar boykottieren?

Naz Küçüktekin.

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