PRO
Als „Geiseln“ der aktuellen Situation beschreibt die russische Tennisspielerin Anastasia Potapova sich und ihre russischen Kollegen und Kolleginnen. Sie wollen doch nur Sport machen und nun sollen sie sich gegen ihr Land wenden, Stellung beziehen; sie werden ausgeschlossen, bedroht, beschimpft. Dabei ist es für sie alles andere als leicht, sich zur Invasion der russischen Armee in der Ukraine zu äußern. Denn „Krieg“ dürfen sie es gar nicht nennen. Sie können einem leidtun.
Der Ausschluss russischer Sportler ist eine harte Entscheidung, aber die richtige. Auch wenn russische Politiker immer wieder behaupten, Sport sei unpolitisch: Gerade für ihr Land, für ihre Regierung gilt das nicht. Das Sportsystem ist in Russland nicht nur Teil der (Wirtschafts-)Politik, sondern auch Propaganda – und im Endeffekt auch Werkzeug zur Kriegsführung: Der umfassende Einfluss der russischen Politik auf den Weltsport, mit Sponsorgeld oder als Ausrichterland, hat es Europa schwerer gemacht, entschieden gegen Putins Russland aufzutreten – sei es bei der Annexion der Krim oder wegen der Verfolgung von Regierungsgegnern oder Homosexuellen im größten Land der Erde.
Die einzelnen Sportler können nichts dafür, dass Putin seine Armee im Nachbarland einmarschieren lässt und sie zufällig einen russischen Pass besitzen. Doch sie sind Teil eines Systems, das sich von der Politik des kriegsführenden Russland nicht trennen lässt.
Die Regierung in Moskau muss Druck spüren. Es reicht nicht, die Flagge zu verbannen oder die Spiele auf neutralen Boden zu verlegen. Oligarchen, Kulturschaffende, Sportler und Unternehmer müssen persönlich betroffen sein, damit sie größtmöglichen Druck auf Moskau ausüben können. Auch wenn sie sich dabei als „Geiseln“ fühlen.
Karoline Krause-Sandner ist Sportredakteurin und war früher in der Außenpolitik.
CONTRA
Wladimir Putins Russland greift den Westen als solchen an – das ist klar. Umso weniger sollten wir Menschen aus dem Westen uns beim ersten Gegenwind das abräumen lassen, was hier unter weltanschaulichem Beschuss steht. Dazu gehört auch die Gabe, sich nicht in irgendwelchen eingemotteten Fantasien von „Völkern“ oder „Nationen“ zu verfangen – und auf die abstruse Idee zu kommen, „den Russen“ unter Generalverdacht zu stellen. Was für eine brandgefährliche Dodelei die Nationenfrage immer noch ist, das sieht man derzeit in der Ukraine: Dort sollen mit Waffengewalt Volkesbrüder wieder in ein fiktives Reich eingemeindet werden.
Also, man darf hier scharf dagegendenken: Es gibt nicht „den Russen“, der plötzlich nicht mehr singen, tanzen, mitsporteln, schreiben oder gelesen werden darf. Es gibt nur einzelne Menschen, mit denen je für sich in Dialog getreten werden muss. Das lohnt sich: Gerade in der Kultur bergen Vergangenheit und Gegenwart einen russischen Reichtum, der in die Entwicklung dessen, was uns wichtig ist, viel eingezahlt hat.
Also bewahren wir uns doch die Freiheit zu sagen: Klar, wer das Gift dieses Krieges hierher weiterträgt, wer damit das ursächlichste Anliegen der Kunst verrät, mit dem lässt sich derzeit nicht gemeinsam auf einer Bühne stehen. Da muss man gar keine Kompromisse suchen. Aber niemals darf ausschließlich der Geburtsort bestimmen, wie mit einem Menschen umgegangen wird. Man würde den faschistoiden Brandstiftern nur in die Hände spielen, wenn man versucht, das mit gleicher weltanschaulicher Währung zurückzuzahlen. Das nicht zu tun, können wir jetzt lernen, indem wir mit unseren russischen Freunden, mit Regimekritikern und Intellektuellen weiter Gemeinsames schaffen. Und dann können wir uns das auch für andere Fragen – Stichwort Migration – merken.
Georg Leyrer leitet die Kultur im KURIER.
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