PRO
Zivilisationen durchlaufen historisch gesehen generell fünf Phasen: Aufstieg, Expansion (früher militärisch, heute ökonomisch), Höhepunkt des Wohlstands, Abstieg, Untergang. Indien etwa befindet sich in einer Phase des Aufstiegs. Die Diskussion in Deutschland über De-Growth (übersetzt: Pippi-Langstrumpf-Plumpsklo-Ökonomie statt Marktwirtschaft) und ein bedingungsloses Grundeinkommen halten indische Jugendliche schlichtweg für verrückt und für ein Zeichen der Wohlstandsübersättigung, berichtete neulich die Welt. Wohlstandsübersättigung: Damit beginnt die Phase des Abstiegs. Da befindet sich auch Österreich. Hier herrscht gerade viel Aufregung über eine – eh nur theoretische – 41-Stunden-Woche. Dabei muss man kein Ökonom sein, um zu wissen, dass Arbeit und nicht Work-Life-Balance Wohlstand sichert. Hätte die Nachkriegsgeneration nur 32 Stunden pro Woche gearbeitet, hätten wir heute vermutlich den Lebensstandard der 1970-Jahre. Anhänger des Kuba-Sozialismus’ finden das vielleicht cool – aber sonst? Bei der Aufregung um die 41 Stunden geht es ja in Wirklichkeit darum, dass es ein Industrievertreter (auch das noch) gewagt hat, die allgemeine Partylaune zu crashen. Dabei arbeiten viele Arbeitnehmer, Unternehmer, Landwirte, Freiberufler und andere oft weit mehr als 41 Stunden die Woche. Eine 41-Stunde-Woche hätte daher wohl weniger einen unmittelbar ökonomischen Effekt, sondern einen psychologischen. Es wäre ein Signal für jene Menschen, die etwas weiterbringen wollen.
Wolfgang Unterhuber ist Print-Chef
CONTRA
Andreas Bablers 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist eine Fantasterei. Das ist übrigens auch den wirtschaftsaffinen Kräften in der SPÖ bewusst. Dass die Industriellenvereinigung nun im Gegenzug eine Verlängerung der Normalarbeitszeit fordert, ist aber mindestens genauso abwegig. Die Realität der österreichischen Arbeitswelt liegt nämlich zwischen diesen beiden – hoffentlich jeweils bewusst provokant gemeinten – Polen.
Viele Kollektivverträge sehen schon jetzt weniger als 40 Wochenstunden vor. Unternehmen orientieren sich immer häufiger sogar in Richtung 35 Stunden. Denn es ist schwierig, unter den aktuellen Voraussetzungen überhaupt Vollzeitkräfte zu finden. Die Gründe sind mannigfach, beginnend beim Volkssport „Lehre kaputtreden“. Folge: Fachkräftemangel. Österreich hat zudem die EU-weit zweithöchste Teilzeitquote – mit der Tendenz zu noch weniger Arbeitszeit. Ein chronischer Mangel an Kinderbetreuerinnen im ländlichen Raum, die EU-weit dritthöchsten Steuern und Abgaben sowie die aktuelle biederen Aussichten auf Eigentum vervollständigen eine durchaus leistungsfeindliche Leitkultur.
Resultat: 2022 und 2023 haben uns EU-weit die meisten Arbeitskräfte gefehlt. Weniger Lohn für noch mehr Arbeit wäre hier also völlig kontraproduktiv und weder im Sinne der Privatwirtschaft, noch des Sozialstaats. Im harten Kampf um Arbeitnehmer aus dem Ausland muss Österreich auf allen Ebenen attraktiv bleiben. Auch bei der „Work-Life-Balance“.
Michael Hammerl ist Innenpolitik-Redakteur.
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