PRO
Schlendert man wochenends durch die Wiener Partymeile „Bermudadreieck“, muss man so manchen Jägermeister aus dem Bauchladen einer angehenden Ehefrau erwerben. Oder man ist gezwungen, einem jungen Mann auszuweichen, der im Prinzessinnen-Kostüm inmitten seiner 28 besten Freunde den Weg in das nächste Lokal sucht.
Wenn man sich die Junggesellen-Gruppen genauer ansieht, merkt man erst, wie aufwendig die Abende gestaltet sind. Da werden Kostüme gebastelt, T-Shirts mit kessen Sprüchen, wie „Brautzilla“ oder „Das war’s – die letzte Auswärtstour“ bedruckt und massenhaft andere Utensilien gekauft.
Trotz intensiver Recherche war es mir leider nicht möglich, herauszufinden, wie groß der Wirtschaftsfaktor „Junggesellenabschied“ mittlerweile ist. Es gibt aber sogar eigene Geschäfte, die sich dem Thema widmen, und Städte, wie zum Beispiel Budapest, Prag oder Bratislava sind auf den Junggesellen-Tourismus spezialisiert.
Nicht zu vergessen, wie viel Geld die Gastronomie mit den Gruppen verdient. Für diese Branchen wären Verbote schmerzhaft. Abgesehen davon, profitieren alle Partygäste von der ausgelassenen Stimmung der angehenden Eheleute – denn wenn es einen wochenends ins Bermudadreieck zieht, will man auch genau diese Stimmung erleben.
Und vergessen wir nicht: Diese Menschen feiern die Liebe (auch wenn ihre T-Shirts oft etwas anderes suggerieren). Lassen wir sie für diesen eigentlich zutiefst noblen Grund, doch auch alles auffahren, was der Geschenke-Shop hergibt.
Birgit Seiser ist Chronik-Redakteurin
CONTRA
Bevor ich als Spießer gelte: Auch ich gehe oft und gerne aus. Aktuell ist es aber kaum möglich, einen Abend in der Wiener Innenstadt zu verbringen, ohne dass halblustig kostümierte, grölende Bräute und Bräutigame in spe ihn sabotieren.
Lallend drängen sie einem Shots auf (die horrenden Preise sollen den Abend refinanzieren), entleeren ihren Mageninhalt auf den Straßen oder torkeln auf den Tanzflächen der Clubs, wo sie meist schon lange die Kontrolle über ihren Körper – und damit jegliche Rücksicht auf andere Feiernde – verloren haben. Es wäre zu wünschen, dass Türsteher mal auf den Pegel statt auf die Hautfarbe der Gäste schauen.
➤ Im Vorjahr wurden mehr als 1.400 rassistische Anfeindungen gemeldet
Der geneigte Leser mag einwerfen, dass wir doch alle schon zu tief ins Glas geschaut haben. Und ja, ich gebe ohne Scheu zu, auch mir ist – des Öfteren – ein solcher Lapsus unterlaufen. Und ich werde nicht ausschließen, dass es wieder passieren wird. Der große Unterschied ist, dass der mit aller Gewalt herbeigeführte, entwürdigende Absturz bei diesen Gruppen eingeplant ist. Viele Städte Europas, von Edinburgh bis Amsterdam, erwägen deshalb Regelungen, um die Massen-Sauferei auf offener Straße einzudämmen.
Natürlich ist der eigene Junggesellenabschied bzw. Polterabend ein besonderer Tag und sollte entsprechend gefeiert werden dürfen. Das Problem ist nur: Es gibt wirklich, wirklich viele Menschen, die heiraten. Und sie alle tun es in den Sommermonaten.
Gelöst wäre die Krise, wenn sich Trauzeuginnen und Trauzeugen einfach ein kreativeres Abendprogramm einfallen lassen würden. Wir alle hätten so viel mehr davon.
Johannes Arends ist Außenpolitik-Redakteur
Kommentare