Gibt es zu viele TV-Konfrontationen im Wahlkampf?

So sicher wie die unzähligen TV-Debatten im ORF und den Privatsendern in jedem Wahlkampf sind auch die Debatten über deren Sinnhaftigkeit. Zwei Stimmen aus der KURIER-Redaktion.
PRO:
Wie oft nimmt Karl Nehammer das Wort „Kuchen“ in den Mund? Und wie oft fordert Andreas Babler „Respekt“ ein? Wer aus der Not eine Tugend machen will, kann aus der Vorhersehbarkeit der TV-Konfrontationen ein heiteres Politphrasenraten machen. Denn an inhaltlich Neuem erfährt der Seher der Dutzenden Fernsehstreitgespräche-Streitgespräche zwei Wochen vor der Wahl nichts mehr.
Höchstens wird er sich wundern, was an mangelnder Gesprächskultur, Untergriffigkeiten und gegenseitigen Beflegelungen in der heimischen Spitzenpolitik alles möglich ist. Weshalb sich wiederum deren Vertreter nicht zu wundern brauchen, dass sich eine beträchtliche Zahl von Menschen einer Juxpartei zuwendet, die ihr Kapital daraus schöpft, dass sie gar nichts sagt.
Weniger wäre in diesem Fall tatsächlich mehr. Jedenfalls lässt sich nur schwer der Nachweis führen, dass Österreich dank seiner weltweit rekordverdächtigen Zahl an Wahlkampf-TV-Duellen zu einem Leitstern der demokratischen Kultur geworden wäre. Somit wäre es auch kein Verlust an Vielfalt, wenn sich Sender zumindest auf einige gemeinsame Formate einigen würden.
Ein weiterer Aspekt: Da so gut wie alle TV-Duelle naturgemäß in Wien stattfinden, können sich die Spitzenkandidaten ausgerechnet in der Hochphase des Wahlkampfs nur noch beschränkt außerhalb der Bundeshauptstadt bewegen. Der direkte Kontakt zur Bevölkerung geht verloren. Und der sollte auch im digitalen Zeitalter die Hauptrolle spielen.
Josef Gebhard, stv. Ressortleiter Innenpolitik
CONTRA:
Gegenfrage: Haben wir zu viele Zeitungen in diesem Land? Niemand (bis auf ein paar Putin-Fans vielleicht) würde behaupten, dass ein, maximal zwei Print- oder Onlinemedien reichen, um über die Nationalratswahl berichten. Warum also sollten wir uns in Sachen TV-Interviews, Konfrontationen und Elefantenrunden auf den ORF als Monopol verlassen? Aus gutem Grund gibt es in Österreich immer noch so etwas wie Medienvielfalt: Der Konsument soll eine Auswahl haben, vergleichen können, umfassend informiert werden.
Dass neben dem Öffentlich-rechtlichen auch Privatsender wie Puls4 und traditionelle Printmedien wie die Krone und der KURIER die Spitzenkandidaten vor die Fernsehkamera bekommen, macht zudem – im wahrsten Sinne – sichtbar, wie wichtig diese Wahl ist. Politik ist im Zeitraum weniger Wochen etwas, an dem man nicht vorbeikommt.
Stichwort „Überforderung“: Niemand erwartet, dass sich jeder Wähler jede Sendung auf jedem Sender anschaut. Ebenso wenig wie man erwartet, dass jeder Leser jeden Artikel in jeder Zeitung liest. Wer zumindest zwei verschiedene Medien konsumiert, der weiß: Unterschiedliche Journalisten stellen unterschiedliche Fragen, bringen unterschiedliche Ansätze in die Debatten.
Dass Spitzenpolitiker trotzdem oft mit gleichen, auswendig gelernten Phrasen antworten und dass das fad ist – geschenkt. Aber zu sagen: Die erzählen ja eh überall dasselbe, die streiten nur und eigentlich interessiert der ganze Wahlkampf keinen mehr, ist nicht nur zynisch, es ist auch antidemokratisch.
Raffaela Lindorfer ist Innenpolitik-Redakteurin
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