PRO
Die Teuerung sollte von der Politik nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Zwei Schlaglichter: Am Montag sprach der Chefvolkswirt der Industriellenvereinigung, Christian Helmenstein, von einem „historischen Superlativ“: Die Betriebe können die Kostenexplosion aufgrund der hohen Energiepreise nicht mehr wie sonst durch Produktionssteigerungen kompensieren. Sie werden sie demnächst an ihre Kunden in Form von Preissteigerungen weitergeben. Das gelte praktisch für die gesamte Industrie, sagt Helmenstein.
Aus einem anderen Blickwinkel analysiert das Arbeiterkammer-nahe Momentum-Institut die Teuerung: Die Sozialleistungen verlieren massiv an Kaufkraft. 36 Millionen Euro haben die Bezieher von Familienbeihilfe, Studienbeihilfe, Mindestsicherung, Pflegegeld, Arbeitslosengeld und Ausgleichszulage seit Jahresbeginn eingebüßt.
Dass die Experten von Industriellenvereinigung und AK gleichermaßen Alarm schlagen, sollte die Politik aufrütteln. Wenn breiten Schichten der Bevölkerung das Geld knapp wird, drückt das auf die Konsumlaune und schadet der Wirtschaft zusätzlich.
Das Problem geht noch darüber hinaus: Eine steigende Zahl von Menschen ist armutsgefährdet. Als ein Gegenmittel schlägt die EU-Kommission vor (und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schließt sich dem an), die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel befristet auszusetzen. Das scheint insofern zielführend, als diesmal nicht nur bestimmte Produktgruppen teurer werden (auf einen neuen Computer oder Fernseher könnte man ja eine Zeit lang verzichten), sondern der lebensnotwendige Alltagsbedarf. Dabei geht es auch um Psychologie: Sich Lebensmittel wie gewohnt leisten zu können, gibt ein Gefühl von Sicherheit in einer Zeit voller Katastrophen.
Daniela Kittner ist Ressortleiterin Innenpolitik.
CONTRA
Wünschen darf man sich ja alles. Selbst eine Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. In Deutschland wären aktuell sogar 77 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage dafür, dass die Steuer auf Grundnahrungsmittel gestrichen wird. Eh klar. Würde ja schließlich alles im Einkaufswagerl billiger machen und das wäre in Zeiten steigender Preise ja nix wie gerecht, oder?! Nein, eben nicht. Denn noch weniger treffsicher geht’s gar nicht. Von der Steuersenkung würden ausnahmslos alle profitieren. Vom Mindestpensionisten bis zum Millionär.
Allerdings nicht im gleichen Ausmaß. Besserverdiener hätten absurderweise sogar noch mehr von der Steuererleichterung, als jene mit notorisch knappen Haushaltsbudgets. Schlicht, da sie im Supermarkt tendenziell zu teureren Lebensmitteln greifen – und damit auch mehr Mehrwertsteuer bezahlen. Gerechte Maßnahmen sehen anders aus.
Obendrein darf bezweifelt werden, dass das Steuerzuckerl immer eins zu eins an den Konsumenten weitergereicht wird. Wer soll das kontrollieren? Und wie? Dass Politiker jetzt schon mit Strafen für Supermarktmanager drohen, die die Steuerersparnis nicht weitergeben, klingt wie ein netter Einschüchterungsversuch.
Gut gemeint, ist oft das Gegenteil von gut. Statt populistischer Ansagen braucht es jetzt treffsichere Maßnahmen. Stimmt, die Preise steigen und steigen. Viele können sich kaum mehr das tägliche Leben leisten. Die Einkommensgrenze, bis zu jener man Unterstützung (ob GIS-Befreiung oder Heizkostenzuschuss) bekommt, müssen nach oben revidiert, Gelder treffsicher verteilt werden. An Bedürftige. Nicht an jene, die auf hohem Niveau jammern. Das ist angesichts der ohnehin leeren Staatskassen so wichtig wie selten zuvor.
Simone Hoepke ist stv. Leiterin des Wirtschaftsressorts.
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