PRO
Ein deutliches Indiz dafür, ob ein Sportler ein gutes Image hat, ist ein Turnschuh: Gibt es ein Modell, das den Namen des Athleten trägt, hat er nicht nur finanziell ausgesorgt, sondern eine Firma hinter sich, die ihren Namen neben seinen stellt und sich davon eine Wertsteigerung verspricht. Novak Djokovic hat im Mai seinen Sponsorvertrag mit der japanischen Schuhmarke Asics verlängert. Außerdem trägt er Uhren von Hublot und Trikots von Lacoste.
Warum sponsert man Athletinnen und Athleten eigentlich? Sie sind Werbefläche, aber vor allem eines: Vorbilder. Wer wie Djokovic spielen will, wird sich wie Djokovic kleiden. Sich denselben Schläger besorgen. Seine Posen imitieren und vielleicht auch sein Privatleben zur Inspiration nehmen. Wir sind Herdentiere und suchen unsere Anführer.
Insofern ist es alles andere als egal, wie man sich als Spitzensportler in entscheidenden Fragen der Gesundheit verhält: Die US-Sprinterin Sha'Carri Richardson wurde wegen Dopings gesperrt, weil sie (das in großen Teilen legale) Marihuana geraucht hatte. In diesem Umfeld wird man an anderen Standards gemessen als am Schulhof.
Es ist also relevant und höchst bedauerlich, dass Djokovic als einer der größten Tennisspieler aller Zeiten zwar seinen berechtigten Ehrgeiz, Rekorde zu brechen, fest im Blick hat, aber seiner Verantwortung als Vorbild nicht nachkommen will. Schlimmer noch: Mit der Farce um seinen Impfstatus wird er zum Testimonial für Desinformation und Wissenschaftsfeindlichkeit. Wer über Tage hinweg die Schlagzeilen dominiert, weil er offensichtlich nicht in der Lage ist, Fakten von Fiktion zu unterscheiden, und sich dann noch mit Jesus vergleichen lässt, lässt seine Fans gröblich im Stich. Man erwartet schlicht mehr von den Größten unserer Zeit.
Philipp Wilhelmer leitet die Debatte im KURIER.
CONTRA
Keine Frage. Es wäre schön, wenn jemand mit der Öffentlichkeitswirkung eines Novak Djokovic als gutes Beispiel für die Coronaimpfung vorangehen würde. Aber genau da liegt der Fehler, den wir in dieser Diskussion machen. Denn Djokovic ist Tennisspieler – und nicht Testimonial für die Covid-Impfung.
Nicht alle Spitzenathleten sind Vorzeigeathleten. Sie sind uns nicht schuldig, die Zuneigung, die wir für sie haben, in Form von angemessenem Verhalten zurückzuzahlen. Nur, weil jemand uns mit außergewöhnlichen Leistungen im Sport eine subjektive Befriedigung verschafft, ist diese Person noch lange nicht dafür verantwortlich, uns auch in anderen Lebensbereichen diese Freude zu machen.
Von der privilegierten Position der Sportler erhoffen sich viele – oft auch Politiker – eine positive Vorbildwirkung. So wurde Mesut Özil zum Symbol für gelungene Integration. Als er sich dann mit dem türkischen Präsidenten ablichten ließ, fielen viele aus allen Wolken.
Wir interpretieren (zu) viel in die Spitzensportler hinein. Schreiben ihnen schier übermenschliche Fähigkeiten zu. Sie gehören in einem bestimmten Bereich zur absoluten Weltspitze, in vielen anderen Bereichen sind sie nicht besser als du und ich. Nur, weil jemand Talent im Tennis beweist, muss er noch lange nicht mit unseren politischen, moralischen oder medizinischen Vorstellungen übereinstimmen. Der größte Fußballer aller Zeiten hatte ein Drogenproblem, der größte Fußballer der Gegenwart ein Steuerproblem. Vorbilder? Für Millionen.
Keine Frage. Wir wünschten uns, dass Persönlichkeiten mit einer derartigen Strahlkraft auch unsere Wertvorstellungen verteidigen – auch, damit unsere Kinder nicht auf blöde Gedanken kommen. Doch die Erkenntnis, dass diese Helden nicht perfekt sind, gehört zum Erwachsenwerden dazu. Wir halten das schon aus.
Karoline Krause-Sandner ist Redakteurin im Ressort Sport.
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