Die Karte an sich ist keine Innovation. Die gibt es schon seit Jahren. Es ist auch gut so, dass so ein Verzeichnis geschaffen worden ist. Da wurde letztendlich nichts öffentlich gemacht, was nicht öffentlich sein soll. Wer will, findet zum Beispiel im Internet jede Pfarre der katholischen Kirche. Mit Pfarrer, Mitarbeitern und den passenden Telefonnummern. Das lässt sich auch auf andere Kirchen und Religionen umlegen. Nur beim Islam gibt es immer sofort einen Aufschrei. Da wird von verschiedensten Seiten – nicht nur von den Muslimen – jene Transparenz infrage gestellt, die notwendig ist, um ein offener Teil der österreichischen Gesellschaft sein zu können. Und das ist der Islam und würde es noch viel mehr sein, wenn endlich alle seine hohen Vertreter bewusst das Geheimnisvolle, das Verstecken, das Abschotten ablegen. Die Islam-Karte könnte ein Schritt dazu sein, wenn man sie abseits der politischen Instrumentalisierung nüchtern betrachtet.
Eines hat die Landkarte auf jeden Fall gezeigt: Das Verhältnis zum Islam ist in Österreich weiterhin sehr, sehr verkrampft. Wo die Grenzen zum politischen Islam – den es natürlich gibt und der genau beobachtet werden muss – zu ziehen sind, ist verschwommen. Wirklich sachlich kann in diesem Umfeld nicht mehr diskutiert werden.
Diese noch immer offene Wunde hat uns die Islam-Karte vor Augen geführt. Wenn am Ende der Debatte vielleicht die Einsicht obsiegt, dann war sie trotz der Konflikte sinnvoll.
Martin Gebhart ist Leiter des Ressorts Chronik im KURIER.
CONTRA
Die Anzahl rassistischer Übergriffe auf Muslime ist 2020 um 33,4 Prozent gestiegen. Das geht aus dem kürzlich veröffentlichen Jahresreport der „Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit“ hervor. Wenn die öffentliche Debatte, wie etwa nach dem Terroranschlag in Wien auf den Islam oder Muslime gerichtet war, häuften sich die Vorfälle besonders.
Die Befürchtung, dass die „Islam-Landkarte“ der Dokumentationsstelle „Politischer Islam“, einen ähnlichen Effekt haben könnte, ist daher groß. Die darin aufgelisteten 623 Organisationen sowie Adressen und Informationen über Verbindungen ins Ausland sollen laut Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) der Transparenz dienen und keinesfalls dazu, „einen Generalverdacht gegen Muslime zu stellen“. Doch genau das tut diese Liste im Grunde – ganz abgesehen davon, dass sie eine veraltete aus dem Jahr 2012 ist.
„Die Veröffentlichung sämtlicher Namen, Funktionen und Adressen von muslimischen und als muslimisch gelesenen Einrichtungen stellt eine nie da gewesene Grenzüberschreitung dar“, heißt es von der muslimischen Jugend. Ähnlich sieht es der Sonderbeauftragte des Europarats für antireligiöse Intoleranz und Hassverbrechen, Daniel Höltgen.
Die Veröffentlichung der „Islam-Landkarte“ wirke aufgrund von Form und Zeitpunkt auf viele muslimische Gläubige als Generalverdacht gegenüber dem Islam; die Landkarte könne somit antimuslimische Ressentiments bedienen, schreibt er in seiner Stellungnahme und plädiert für einen Rückzug der Islam-Landkarte in ihrer gegenwärtigen Form. „Können Sie sich vorstellen, dass eine solche Karte des Judentums oder des Christentums in Österreich erstellt werden könnte?“, fragt hingegen Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer Österreicher im Ö1-Interview. Nein, nicht wirklich.
Naz Kücüktekin ist Redakteurin im KURIER.
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