PRO
Wenn es in Frankreich oder Deutschland irgendwo zwickt, dann ist die EU-Kommission sofort zur Stelle. Wenn es um kleine Staaten geht, dann hat man in Brüssel Zeit. Genauso war es Ende des Vorjahres beim Thema Asylpolitik. Weil es zwischen Italien und Frankreich wegen eines Schiffes mit Flüchtlingen ein Problem gab, sollte sofort eine Sondersitzung der Innenminister einberufen werden. Dass Staaten wie Österreich mit einem riesigen Flüchtlingsstrom zu kämpfen haben, kam erst so richtig ins Blickfeld, als Innenminister Gerhard Karner sein Veto gegen die Schengen-Erweiterung angekündigt hatte.
Dass Kanzler und Innenminister damit keine europäischen Lorbeeren erringen konnten, war klar. In der EU sieht man es nie gerne, wenn einzelne Staaten ausscheren. Dass die beiden damit endlich die Aufmerksamkeit der EU-Kommission erringen konnten, ist die positive Seite dieser Medaille. Seither wird um eine Lösung, um eine gemeinsame Asylpolitik gerungen. Im Februar gibt es sogar einen Sondergipfel zur Migration.
Natürlich ist man in Bulgarien und Rumänien empört, dass Österreich ihren Beitritt zum Schengenraum verhindert hat. Diese diplomatischen Verwerfungen sind aber das kleinere Übel, wenn durch das Veto die EU-Kommission in Sachen Asyl nun mit einem konkreten Plan in die Gänge kommt. Außerdem ist Schengen derzeit ohnehin nicht wirklich in Kraft, wenn man sich die vielen Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums ansieht.
Martin Gebhart ist Leiter des Innenpolitik-Ressorts.
CONTRA
In einem muss man Kanzler Nehammer und seinem Innenminister Karner recht geben: Würde das Schengensystem klaglos funktionieren, hätten 2022 nicht mehr als 100.000 Menschen in Österreich ein Asylansuchen gestellt. Doch der richtigen Diagnose folgte die falsche Medikamentation: Ein Veto gegen Bulgariens und Rumäniens Schengen-Beitritt löst die Probleme der unerwünschten Zuwanderung in Österreich und Europa nicht. Und darum geht es schließlich wirklich: Österreich möchte weniger illegale Migranten im Land, weniger Asylanträge haben. Ein legitimes Ziel.
Nur: Über Bulgarien, mit seinem zugegebenermaßen durchaus löchrigen Grenzzaun zur Türkei, kam im Vorjahr nur rund ein Drittel der Asylsuchen. Und bei Rumänien ist der Anteil noch viel geringer. Wie die Blockade Wiens nun dabei helfen soll, den Migrationszustrom einzudämmen, bleibt rätselhaft. Bulgarien und Rumänien büßen dafür, dass Ungarn alle Migranten durchwinkt – denn eigentlich hätten dort Zigtausende Menschen ihren Asylantrag stellen müssen und nicht in Österreich. Nehammer und Karner sehen aber nicht Ungarn als einen der Teilschuldigen für das Nicht-Funktionieren des Schengensystems, sondern die EU-Kommission. Dieser präsentierten die beiden fünf Vorschläge für ein besseres Schengensystem. Zwei Punkte davon sind schlicht undurchführbar, weil sie gegen EU-Grundgesetze verstoßen. Beharrt Österreich darauf, können Bulgarien und Rumänien bis zum St. Nimmerleinstag warten.
Ingrid Steiner-Gashi ist die EU-Korrespondentin in Brüssel.
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