PRO
Das ganze Jahr über steht das Glöckchen im Bücherregal. Es ist alt – wie alt, das weiß niemand in der Familie mehr genau –, aus Bronze, und dort, wo bei normalen Glocken der Griff ist, findet sich die Silhouette eines Engels. Das Glöckchen läutet nur ein Mal im Jahr.
Wenn sein Ton erklingt, macht sich wohlige Aufregung in der Familie breit. Dann nämlich war das Christkind da. Das war so, als Ihr Autor ein Kind war. Und es ist heute noch so. Am Gefühl, das das Läuten in der Magengegend verursacht, hat sich nichts geändert. Und beim Blick auf den Christbaum sind sich dann alle einig. Ja, da war das Christkind am Werk.
Bevor Sie widersprechen: Klar, die Geschenke hat die Familie besorgt und eingepackt. Der Baum wurde gemeinschaftlich geschmückt. Doch da ist mehr im Raum. Etwas Friedliches, Überirdisches, eine Prise Magie. Und die kleinen Erlebnisse, die schon die Vorweihnachtszeit so besonders machen – wenn etwa Vater und Tochter beim gemeinsamen Shoppen auf das perfekte Geschenk stoßen oder der Duft der Kekse, die man ursprünglich gar nicht backen wollte, die Wohnung erfüllt – verdichten sich jetzt zu diesem einen zauberhaften Moment. Das Ganze ist eben mehr als die Summe seiner Teile.
Sollten Sie noch nicht überzeugt sein, dann erkundigen Sie sich doch rasch in Ihrem Umfeld nach dem Christkind. Sie müssen nur die Richtigen fragen – und gut zuhören. Millionen von Kindern können nicht irren. Sie nämlich haben die Lektion verstanden, die uns das Christkind lehrt: Dass wir manchmal an Dinge glauben und vertrauen müssen, auch wenn wir nicht immer alles sehen, messen, verstehen können. An die Familie und Freunde, an unsere eigenen Fähigkeiten, an uns selbst.
Manchmal benötigen derartige Lektionen eine Auffrischung. Etwa, indem das Glöckchen läutet. Dann war nämlich das Christkind da.
Christoph Schwarz leitet das Wien-Ressort des KURIER
CONTRA
Zuweilen sind Wahrheiten unangenehm. Etwa jene, dass Vanillekipferl kaum als Diätessen durchgehen. Oder diese, dass die letzten Lebkuchenmänner nicht einfach so aus der Keksdose entkommen sein können. Sie müssen Fluchthelfer gehabt haben.
Hier geht es aber um diese Wahrheit: Das Christkind? Ein putziges, pausbäckiges, engelsgleiches Wesen, das Geschenke bringt? Das wäre einfach zu schön, um wahr zu sein. Es würde Milliarden von Menschen die Suche nach dem perfekten Präsent für Eltern, Oma und Opa, Ehepartner, Lebensgefährten, beste Freunde, Arbeitskollegen und freilich vor allem Kinder ersparen. Weil alle genau das bekämen, wovon sie geträumt haben. Weil dann hallo, das ist ein magisches Wesen! das Christkind nämlich so gut wie alles wüsste und alles könnte.
Also zumindest Hunderten Millionen Kindern etwas bescheren. Das wären dann schon ein paar Hundert Tonnen an Geschenken, die das Christkind an einem Abend zu schleppen und auszuliefern hätte. Das schafft nicht einmal der Weihnachtsmann, und der hat wenigstens Rentiere und Schlitten. Deutsche Mathematiker und Physiker haben tatsächlich einmal berechnet, wie schnell der Weihnachtsmann unterwegs sein müsste, wollte er am Heiligen Abend allen Kindern ein Packerl unter den Baum legen: Pro Sekunde müsste er 1.800 Geschenke ausliefern und und mit fast zehntausendfacher Schallgeschwindigkeit 325 Millionen Kilometer zurücklegen.
Jetzt ließe sich noch argumentieren, die Gabenbringer machen halbe-halbe. Christkind und Weihnachtsmann arbeiten zusammen und teilen sich das Ganze auf. Lächerlich, sagen Sie? Aber nein: Wer ans Christkind glauben will, müsste auch mit Santa Claus sympathisieren der übrigens nicht erst Rot trägt, seit ihn ein Getränkekonzern entdeckt hat.
Elisabeth Holzer ist Chronik-Redakteurin in Graz
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