Echte Christbäume im öffentlichen Raum? Ein Pro und Contra

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Die Tradition der Baumspende aus den unterschiedlichen Bundesländern reicht bis 1959 zurück. Dieses Jahr bildet eine 50 Jahre alte Fichte das Zentrum des Wiener Christkindlmarktes am Rathausplatz.
Anya Antonius

Anya Antonius

Yvonne Widler

Yvonne Widler

Es ist wieder so weit: Wien hat seinen Weihnachtsbaum geliefert bekommen. Dieses Jahr kommt er aus Tirol „und war eingebettet in die imposante Bergwelt der Kitzbüheler Alpen“, heißt es in der zugehörigen Aussendung der Stadt Wien. Der Baum wurde am Montag gefällt, in der Nacht auf Dienstag auf den Wiener Rathausplatz gebracht und in den frühen Morgenstunden aufgestellt.
Nach ihrer langen Reise nach Wien brauche die Fichte zudem naturgemäß ein wenig Zeit, um sich zu entfalten.  Sobald sich das Nadelkleid wieder gelegt hat, werde der Baum „liebevoll gepflegt“, heißt es weiter. Dabei werden kleine Transportschäden ausgebessert, bevor der Baum mit rund 1.000 Kugeln und 2.000 Lichtern behängt wird.

Die Tradition der Baumspende aus unterschiedlichen Bundesländern Österreichs reicht bis ins Jahr 1959 zurück. Die 160 Jahre alte Fichte vor dem Schloss Schönbrunn steht übrigens bereits seit 22. Oktober im Ehrenhof. Der Wiener Christkindlmarkt öffnet heuer am 14. November. Einen Tag später, am 15. November, findet die feierliche Illuminierung des Weihnachtsbaums durch Bürgermeister Michael Ludwig und Tirols Landeshauptmann Anton Mattle statt, gemeinsam mit der Inbetriebnahme der weihnachtlichen Beleuchtung im Rathauspark, darunter auch der beliebte Herzerlbaum.  

PRO

Zugegeben, die Vorweihnachtszeit müsste nicht bereits Anfang November beginnen. Aber wenn es schon so sein soll, dann wenigstens so richtig, mit einem weihnachtlichen Paukenschlag und einem ganzen Wald an Christbäumen im Wiener Stadtbild.

Am Dienstag wurde der traditionelle Christbaum vor dem Wiener Rathaus aufgestellt. Schwindelerregende 28 Meter hoch ist die Tiroler Fichte. Ich spüre schon, wie sich mein kaltes Wiener Herz in freudiger Erwartung einer weihnachtlich erleuchteten Stadt langsam erwärmt. Spätestens, wenn in einigen Tagen die 1.000 bis 2.000 Lichter an den Zweigen, die Luster am Graben und die roten Christbaumkugeln in der Rotenturmstraße hängen, ist es ganz aufgetaut.

Festliche Stimmung

Henriette von Nassau-Weilburg wusste schon, was sie tat, als sie 1815 nach ihrer Hochzeit mit dem Erzherzog den Christbaum ins Kaiserhaus brachte. Die Wiener waren von der neuen Tradition und dem lichtergeschmückten Baum in der Stube nicht schwer zu überzeugen. 

Was die eigenen vier Wände für einige Winterwochen atmosphärisch aufwertet, das gilt genauso auch für das vorweihnachtliche Wien und seine witterungsbedingt eher ungemütlichen Plätze und Straßen. Selbst der an Wintertagen eher triste Siebenbrunnenplatz in Margareten oder die geschäftige Lugner City verbreiten durch den aufgestellten Weihnachtsbaum und dessen Lichter fast so etwas wie festliche Stimmung.

Nach der Weihnachtszeit werden die Bäume zudem nachhaltig verwertet. Der Baum vor dem Schloss Schönbrunn wird den Tieren im benachbarten Zoo als Futter und Spielzeug überlassen. Der Baum vor dem Rathaus wird nach der Weihnachtszeit wie alle Wiener Christbäume zu Fernwärme. Und die wärmt nicht nur Herzen, sondern auch Wohnungen.

Zur Autorin: Anya Antonius ist Redakteurin im Ressort Chronik und Reporterin beim True-Crime-Podcast Dunkle Spuren.

CONTRA

Sie ist 50 Jahre alt, 28 Meter hoch, 4,6 Tonnen schwer – und tot. Die Fichte aus dem Tiroler Brixental, die nun den Wiener Rathausplatz ziert, ist ein Naturdenkmal, das gefällt wurde, um ein paar Wochen lang hübsche Fotokulisse zu sein. Eine schöne Tradition? Eher ein Symbol dafür, wie wenig wir manchmal über Sinn und Nachhaltigkeit nachdenken. 

Und nicht nur für den Wiener Rathausplatz wird jedes Jahr ein Baum geopfert. Auch vor dem Schloss Schönbrunn steht heuer wieder eine Fichte. Sie ist stolze 160 Jahre alt. Zwei Riesen, die in ihrer Heimat noch viele Jahre lang Lebensraum, Schatten und Sauerstoff hätten spenden können. Stattdessen wurden sie in Netze gepackt, quer durch Österreich transportiert und stehen nun zwischen Punsch- und Ramschständen.

Fagwürdiges Ritual

Das Ritual hat Geschichte: Seit 1959 schenken die Bundesländer Wien abwechselnd einen Christbaum. Doch es ist an der Zeit, sich eine Alternative zu überlegen. Etwa mit kreativen Installationen oder recycelten Materialien, die wiederverwendbar sind.
Wenn wir über Verantwortung und Nachhaltigkeit reden, dann sollten wir auch über unsere Weihnachtssymbolik nachdenken. Ein echter Baum ist im Wald am schönsten und nicht auf einem Platz, wo er dekoriert und fotografiert wird. 

Immerhin werden die großen Fichten nach Weihnachten weiter verwendet – als Holzschnitzel, Brennstoff oder Tierstreu. Das rechtfertigt dennoch nicht, dass ein 50 oder 160 Jahre alter Baum gefällt wird, der Jahrzehnte CO₂ gebunden hat und Lebensraum war. Sechs Wochen Glitzer und ein paar Hackschnitzel sind kein fairer Tausch. Das in die Jahre gekommene Lebendbaumopfer bleibt ein Symbol für ein Ritual, das nicht mehr in unsere Zeit passt. 

Zur Autorin: Yvonne Widler ist Redakteurin im Ressort Chronik und Reporterin beim True-Crime-Podcast Dunkle Spuren.

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