PRO
Der 3. Corona-Sommer, und wir haben nichts gelernt. Rennen sehenden Auges zu Ferienbeginn in eine Corona-Welle, die sich gewaschen hat, weil der einst oft zitierte „Hausverstand“ und die von der Politik so erhoffte „Eigenverantwortung“ bei dem Gros der Bevölkerung wie den Regierenden selbst ein Fremdwort zu sein scheint.
Statt das probateste und wohl gelindeste Mittel – FFP2-Maske oder Mund-Nasen-Schutz – in öffentlichen Verkehrsmitteln und an Orten des täglichen Bedarfs (Supermarkt, Apotheke, Post, Bank) einfach beizubehalten, weil der Mensch ein Gewohnheitstier ist und die Pandemie eben nicht vorbei, wird der „Hausverstand“, so überhaupt vorhanden, ausgeschaltet. Bei Wählern wie Gewählten.
Dass derzeit an der Wiener Stadtgrenze die FFP2-Maskenpflicht in den Öffis endet, der Gesundheitsminister derweil schon wieder über eine österreichweite Einführung derselben sinniert, ist so schildbürgerhaft wie Maske unter der Nase zu tragen sinnlos ist.
Im 3. Pandemiejahr ist es nachgerade die Pflicht von Verantwortungsträgern, die einfachsten Corona-Regeln (Abstand halten und an oben genannten Orten Maske tragen) aufrechtzuerhalten, denn: Die nächste Winterwelle ist vorprogrammiert wie der öffentliche Aufschrei über Maßnahmen, die dem Föderalismus, nicht aber dem (Haus-)Verstand folgen.
Und der Bevölkerung ist zumutbar, sich an eben diese Regeln zu halten und nicht die eigene Freiheit vorzuschützen, anstatt andere wie sich selbst vor einer Infektion zu schützen.
Eingedenk eben dieser Pandemie-Praxis-Erfahrung steht es den Politikern gut an, bereits jetzt Energiespar-Empfehlungen für den Herbst zu geben, ehe sie wegen Energieknappheit zur Pflicht werden könnten. Und der Bevölkerung, sich der Eigenverantwortung zu entsinnen.
Johanna Hager ist stv. Innenpolitik-Ressortleiterin des KURIER.
CONTRA
Nicht umsonst gibt uns die Verfassung sogenannte Grundrechte. Sie sind juristisch fest in der Republik verankert und dienen vor allem dazu, Individuen vor Schikanen und Willkür in wichtigen Grundfragen bewahren sollen. Darunter fällt das Recht auf „persönliche Freiheit“. Österreicherinnen und Österreicher sind frei, ihr Leben so zu gestalten, wie sie möchten. Einzuhalten sind dabei gesetzliche Bestimmungen wie Strafrecht oder Fragen der allgemeinen Sicherheit (dass man etwa nicht mit 100 km/h durch die Fußgängerzone rasen darf, gilt nicht als Einschränkung der persönlichen Freiheit, auch wenn manche Autolobbyisten das als Streitpunkt beurteilen würden).
Die Garantie der persönlichen Freiheit konterkariert die Mentalität des berühmten Nanny-Staates. Grob gesagt: Wann ich mich Schnäuzen soll, weiß ich selbst am besten. (Im Zweifelsfall gibt mein persönliches Umfeld einen diskreten Hinweis.) Andere Vorhaltungen darüber, ob man seine Zeit alleine, in Gesellschaft, mit bedecktem Gesicht oder ohne verbringen soll, darf nur in Extremfällen verordnet werden. Wir haben uns sehr schnell daran gewöhnt, dass Corona sämtliche Freiheiten aushebelt. Allerdings muss so ein Eingriff fast tagesaktuell mit den epidemiologischen Gegebenheiten abgeglichen werden.
Insofern ist es nur konsequent, dass die Regierung (zugegebenermaßen populistisch) die Impfpflicht wieder abschafft. Wer darauf besteht, sich nicht zu schützen, soll von seinem Unglück nicht abgehalten werden. Dummheit schützt vor Krankheit bekanntermaßen nicht. Allerdings muss sichergestellt sein, dass jene, die Corona in all seinen Varianten ernstnehmen, auch Vorsorge treffen können. Radikale Impfschwurbler dürfen kein Maßstab sein. Aber sie ins Leere laufen zu lassen, ist auch kein Fehler.
Philipp Wilhelmer leitet die Debatte im KURIER.
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