Pro:
Was hilft’s, zu Hause zu bleiben, wenn die anderen das nicht mehr tun? Was bringt’s, Tiroler Skilifte gegen Wiener U-Bahn auszuspielen? Oder Museen gegen Schanigärten?
Jede Woche debattieren wir ein neues Detail. Warum darf einer das – und der andere nicht? Was soll’s? Was bringt’s? Ich habe keine Ahnung.
Im Maßnahmen-Gewirr der letzten Monate, allesamt großartig angekündigt, selten durchexekutiert, habe ich keinen Durchblick gewonnen. Aber meine Motivation ist auf der Strecke geblieben. So ehrlich möchte ich immerhin sein.
Dabei wäre ich für alles zu haben gewesen. Ich bin schwanger, habe ein zweijähriges Kind, bin also Risikogruppe ohne Aussicht auf Impfung und mit der Furcht, das Virus als Kindergartenmitbringsel zu bekommen. Das war ein guter Antrieb: Sag’ mir, was ich tun muss, ich bin dabei.
Dass 17-Jährige, die 2020 fast immer daheim waren, das anders sehen, verstehe ich nur zu gut. Der Standort bestimmt den Standpunkt. Was mir fehlt, ist ein starker Staat. Ein wirklich starker Staat. Keiner, der Polizisten mit dem Maßband Mindestabstände messen lässt. Ein Staat, der uns endlich eine Perspektive vermittelt, der nach über einem Jahr nicht mehr auf Sicht fährt, sondern einen Plan hat. Einer, der uns nicht fragen lässt, wann wir geimpft werden. Sondern der weiß, wann es so weit ist. Das geht. Schauen Sie nach Dänemark, wo jeder (!) Bürger einen Termin hat. Selbst wenn der erst im August ist: So kann ich wieder planen, mich auf etwas freuen. Wir brauchen einen Staat, der so schlaue Maßnahmen setzt, um auch die mitzunehmen, die vorbeischummeln bisher vernünftiger fanden.
Zeigt mir, dass ihr ordentlich impfen könnt, Altenheime wirklich schützen wollt und die nächsten Wochen tatsächlich zu den entscheidenden macht.
Dann bin ich auch wieder dabei.
Evelyn Peternel ist Außenpolitik-Redakteurin und ehemalige Korrespondentin.
Contra:
Wer Kafka gelesen hat, hat ein sehr schönes Bild davon, wie furchtbar weit man sich in einem Paragrafendschungel verirren kann. Wo eine Vorschrift, da auch die Willkür, so will es der österreichische Hausgebrauch. Beziehungsweise: Wenn der Innenminister an dir ein Exempel statuieren will, hilft es dir nichts, wenn du eine gut integrierte Schülerin bist, die ihr Leben hier verbracht hat – dann heißt es Abflug nach Georgien, Gesetz ist Gesetz, Ausnahmen gelten für Leute, die das ausjudizieren können.
Corona hat den Rechtsstaat auf eine schiefe Ebene gestellt. Da reichte es, wenn ein Politiker auf einer Pressekonferenz eine Verordnung behauptete: Man konnte sich sicher sein, dass ein Streifenpolizist einen Verstoß dagegen strafte. In Wahrheit gab die Gesetzeslage weniger her, aber die Tendenz blieb: Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Ausgangssperren, Mindestabstand ... Der Frieden mit diesen Vorschriften ist mit milliardenschweren Hilfspaketen erkauft. Wenn die wirtschaftliche Last der Pandemie voll auf alle durchschlagen würde, wäre vieles nicht mehr umsetzbar.
Wir haben darüberhinaus gelernt, es ok zu finden, wenn die Behörden Demonstrationen untersagen. Man muss sich mit den teils schwachsinnigen Forderungen der Corona-Leugner nicht identifizieren, um solche Entwicklungen zu fürchten. Es ist schwer, in einer liberalen Demokratie mit drastischen Auflagen auch nur einen Tag länger als notwendig zu leben.
Das Internet hat die starken Männer wie Donald Trump salonfähig gemacht, das Coronavirus hat dem die starken Staaten beiseitegestellt. Ironischerweise hat ausgerechnet der abgewählte US-Präsident die Pandemie nicht dazu genutzt, seine Machtbefugnisse auszuweiten. Es möge dabei bleiben.
Philipp Wilhelmer ist Medienredakteur und leitet die Debattenseite.
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