PRO
Er kommt jedes Jahr so verlässlich wie der Krampus und das Christkind: Der Ruf nach offenen Geschäften an zumindest einem Adventsonntag. So weit, so bekannt. Doch heuer ist trotzdem alles anders.
Der Widerstand gegen die Öffnung bröckelt, selbst in der Gewerkschaft. Aus gutem Grund. 20 Tage Lockdown pünktlich zum Start ins Weihnachtsgeschäft kosten dem Handel laut Schätzungen der Johannes Kepler Universität 140 Millionen Euro. Am Tag. Zu sagen, dass es für die Konsumgesellschaft ohnehin heilsam ist, einmal weniger zu kaufen, ist blanker Zynismus und obendrein naiv.
Es wird gekauft. Egal, ob die Geschäfte in den Einkaufsstraßen und Shoppingcentern offen haben oder nicht. Und zwar online und damit zu einem guten Teil an der österreichischen Wertschöpfungskette vorbei. Zur Größenordnung: Jeder zweite Euro, der von Österreichern in Onlineshops ausgegeben wird, fließt auf die Konten ausländischer Anbieter.
Wenn die Geschäfte heuer am 4. Adventsonntag aufsperren dürfen, wird das für viele Betriebe zwar nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein sein. Aber es ist zumindest ein Zeichen. An Kunden, die einen Tag mehr Zeit haben, ihre Einkäufe direkt vor Ort zu erledigen – was auch die Kundenströme entzerrt. An viele Handelsmitarbeiter, die gerade in Kurzarbeit sind und um ihre Zuschläge umfallen.
Und natürlich an die Kaufleute in Einkaufsstraßen, die eine vage Vorstellung davon haben, wie schwer es ist, Kunden zurückzugewinnen, die jetzt zum ersten Mal von der Couch aus ihre Einkäufe erledigen. Übrigens: Auch wenn sich die Debatte rund um die Sonntagsöffnung seit einer gefühlten Ewigkeit im Kreis dreht: In den Tourismuszonen außerhalb von Wien ist das sie gar kein Thema.
Da haben die Geschäfte in der Saison ohnehin offen.
Simone Hoepke Die Autorin ist stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsressorts
CONTRA
Sogar Gott hat am siebten Tag geruht. Ok, das ist vielleicht ein bisschen hoch gezielt, aber im Kern stimmt es: Der Sonntag als freier Tag ist ein Ankerpunkt der Entschleunigung.Hier muss nichts, hier darf vor allem: Am Sofa gelümmelt werden, der längst ausständige Familienbesuch endlich nachgeholt werden (auch die Verwandtschaft hat an diesem Tag zumindest keine arbeitstechnischen Verpflichtungen), der Ausflug absolviert werden.
Die Synchronität unserer Gesellschaft findet hier statt. Auch am Montag, der nur durch den Sonntag ein echter Beginn in die Arbeitswoche ist.
Das mag jetzt sehr katholisch argumentiert klingen, aber die darunter liegende Grundfrage gilt für alle: Wollen wir dem Streben nach Verwertbarkeit wirklich sieben Tage die Woche widmen? Oder einfach einmal gemeinsam Pause drücken und kollektiv durchatmen?
(Es sei erwähnt, dass Zeitungsjournalisten sehr wohl die Sonntagsarbeit kennen sonst hätten Sie montags entweder eine sehr alte oder gar keine Zeitung).
Der Lockdown ist kein taugliches Argument, an diesem Ruhepunkt zu rütteln. Lässt man dies einmal zu, wird verlässlich wieder ein Grund auftauchen. Und der nächste. Und wir werden uns wundern, was an einem Sonntag plötzlich alles geht, weil es gehen muss.
Gegenvorschlag: Wir öffnen den vierten Adventsonntag verlässlich für die Kulturbetriebe und verwenden ihn für Horizonterweiterung und Introspektion in Konzert, Museum oder Theater, statt vollbepackt die Einkaufsstraßen hinunter zu hetzen. Und vielleicht schaffen es Interessensvertreter und Wirtschaftspolitiker im Gegenzug endlich, den Handel auch digital fit (und nachhaltig) zu machen. Dass Amazon vom Lockdown profitiert, stimmt ja nur deshalb, weil der amerikanische Multi gut funktioniert.
Philipp Wilhelmer leitet die Debatte im KURIER.
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