Wenn der Heimatroman-Kitsch fehlt

Wenn der Heimatroman-Kitsch fehlt
Von der Millionenstadt ins Bergdorf. Warum das nichts mit Heimatroman-Kitsch zu tun hat
Anja Kröll

Anja Kröll

Klischee. Alle träumen vom Landleben. Aber tun Sie das mal. Ziehen Sie aufs Land. Schlimmer, ins Bergdorf. Standing Ovations vorbei. Die Mutter setzt den „Kind, bist du dir sicher“-Blick auf. Die Freunde fragen, wann man karrieretechnisch aufgegeben habe und was man alleine in einem Bergdorf tue? Zauberwort: A-L-L-E-I-N-E.

Ziehen Sie als Familie aufs Land – Fanfaren! Sie Retter der armen Kinder vor den Spielkäfigen Wiens und Beschenker des Nachwuchses mit grünen Wäldern. Dass Stadtkinder rein allergietechnisch an so viel Natur scheitern, sei dahingestellt. Dazu keine bösen Menschen, sondern nur heile Welt. Ja, Josef Fritzl und Wolfgang Priklopil lebten bekanntlich auch in Großstädten.

Ziehen Sie aber als Single aufs Land, frage nicht! Wobei: geschiedener Single mit Kind ginge. Retten Sie halt alleine das Kind vor den Spielkäfigen Wiens. Aber ohne Kind? Nur Sie als Individuum?

Das Bergdorf-Tribunal unterstellt Ihnen eine Midlifekrise. Mit fast 40 verständlich. Die Bergdorf-Ehefrauen werfen sich eifersüchtig zwischen Sie und ihre Ehemänner. Bei so hoch sexualisierten Sätzen wie: „Schönes Wetter heute.“ Und die Bergdorf-Allgemeinheit empfindet die Verwendung von Fremdwörtern wie „Interieur“ als Hinweis, dass Sie glauben, etwas Besseres zu sein. „Die hat in Wien g’lebt.“

Warum ich es trotzdem getan habe? Weil ich mich in Wien zu Hause gefühlt habe, aber daheim nur in meinem Bergdorf. Weil ich selten so viel Authentizität – böses Fremdwort – erlebt habe wie hier. Dafür braucht es kein verklärtes „Der Förster vom Silberwald“-Bild. Und weil alle Standing Ovations gegen einen Blick auf die Hohen Tauern verblassen.

Okay: Das klingt jetzt echt nach Förster vom Silberwald.

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