Von der Zeit vor dem Sepp-Sterben und der danach

Von der Zeit vor dem Sepp-Sterben und der danach
Alles über Zeitrechnung in Bergdörfern, die aus der Zeit gefallen zu scheinen sind
Anja Kröll

Anja Kröll

Kennen Sie den Sepp? Ich auch nicht. Und doch begleitet mich der Sepp seit meiner Kindheit.

Der Sepp ist der Mann von der Moidl. Oder besser gesagt war er der Mann von der Moidl. Denn der Sepp ist tot.

Ich habe ihn nie kennengelernt. Aber immer wenn die Moidl von etwas erzählt hatte, was lange zurückliegt, dann gab es für sie zwei Zeitrechnungen.

Vor dem Sepp-Sterben und nach dem Sepp-Sterben.

Eine Unterhaltung mit der Moidl verlief also in etwa so: „Kannst dich noch erinnern, als wir in dem Sommer am See waren?“ – „In welchem Sommer?“ – „Na, in dem Sommer vor dem Sepp-Sterben.“ Die Moidl hat sonst übrigens nie vom Sepp gesprochen. Wie er war oder was sie gemeinsam erlebt haben. Der Sepp, das war eine Epoche.

Wann der Sepp tatsächlich gestorben ist, kann heute übrigens nicht mehr rekonstruiert werden. Denn auch die Moidl gibt es nicht mehr.

Aber das Sepp-Sterben ist lange her. Wer braucht da auch Jahreszahlen?

Wenn er eine Zeitrechnung hat, die aus der Zeit gefallen scheint und dennoch endgültig ist.

So endgültig, dass die eigene Familie für alles, was sehr, sehr lange zurückliegt seit Jahren den geflügelten Ausdruck „Vor-dem-Sepp-Sterben“ verwendet.

Aber in Bergdörfern gibt es nicht nur eigene Messungen für Epochen.

Es gibt auch eigene Messungen für die Temperatur. Mein Großvater, der auch Sepp hieß, aber mit oben Genanntem nichts verband, hatte einen Lieblingssatz, wenn er ins tiefer gelegenere Dorf fuhr. Auf die Frage, wie warm es dort war, folgte: „Einen Rock wärmer.“

Mit dem Rock war eine Jacke gemeint. Also musste man dort eine Jacke weniger anziehen, für die Wohlfühltemperatur.

Wohlgemerkt: Vor Hitzewellen. Also vor dem Sepp-Sterben.

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