Ruf! Mich! Nicht! An! Warum Millennials so ungern telefonieren
Der jüngste innenpolitische Skandal brachte drei wichtige Erkenntnisse zutage: 1) Fremde Chatverläufe zu lesen, ist so unangenehm, dass es einem mitunter körperliche Schmerzen bereitet; 2) das Bussi-Emoji hat endgültig seine Unschuld verloren; 3) Bundeskanzler & Co. sind offenbar keine Freunde des Telefonierens und besprechen selbst die Aufteilung der Republik lieber per Direktnachricht. Zumindest damit dürfte Sebastian Kurz bei Gleichaltrigen – er ist Jahrgang ’86 – auf Verständnis stoßen. Wenn die Generation Y etwas noch mehr verabscheut als Formulare und Amtswege, dann, jemanden anrufen zu müssen oder angerufen zu werden.
Die Gründe für die Telefon-Tristesse sind vielfältig. Überraschende Anrufe empfinde sie als übergriffig, sagt Freundin L., schließlich müsse sie dafür ihre aktuelle Tätigkeit (Netflix, Sporteln, Online-Shoppen) unterbrechen. Freundin T. bekommt beim Vibrieren ihres Smartphones schweißnasse Hände und rechnet automatisch mit einer Hiobsbotschaft. Warum sonst sollte man sie anrufen, wo sie doch auch stressfrei via Whatsapp erreichbar ist? D. fürchtet peinliche Momente im Echtzeitgespräch und geht nur noch zu Ärzten und Friseuren, die online Termine vergeben. Die Angst hat inzwischen einen Namen: „Phone Anxiety“ oder, hübscher, „Telephobia“.
Als Jung-Redakteurin wird einem die Telephobia übrigens schnell ausgetrieben. Einer der ersten Aufträge beim KURIER lautete, einen Autor zu seinem persönlichen Ratgeberbuch zu befragen – am Telefon, im (damals noch) voll besetzten Großraumbüro. Sein Werk trug den verheißungsvollen Titel „Elf Zentimeter“ und handelte vom Leben mit einem – so empfand es der Autor – zu kurzen Körperteil. Nach so einem Telefonat bringt einen so schnell kein Anruf mehr aus der Ruhe.
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