Mein Kind darf so schauen, wie es will!

Mein Kind darf so schauen, wie es will!
Für Begegnungen auf der Straße gibt es einen unausgesprochenen Kodex. Schade eigentlich.
Laila Docekal

Laila Docekal

Lächeln Sie wildfremde Menschen auf der Straße an? Vielleicht, wenn Sie etwas verkaufen wollen. Beim Wandern werden Gleichgesinnte gerne mit einem freundlichen Nicken begrüßt. In der Großstadt und speziell in Wien wird prinzipiell aber der entspannte Blick nach vorne ausgeführt. Am liebsten knapp vorbei am Gegenüber, um ihn im Auge zu behalten, ihm aber gleichzeitig keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Alles andere beschert einem schnell ein irritiertes Stirnrunzeln, bis hin zu einem: „Was schaust denn so deppert?“

Dieses sozial weit verbreitete Sehen, aber nicht Anschauen, will einmal gelernt sein, wie ich gerade bei meiner knapp Zweijährigen beobachten kann. So passiert es mitunter, dass sie im Supermarkt wildfremden, alten Männern zuwinkt und ihnen ein beherztes „Hallo Opa!“ zuruft. Ich lache auf, die Herren fühlen sich meistens nicht angesprochen oder tun zumindest so und gehen weiter. Das Kind nimmt’s gelassen und freut sich, dass es einen Opa gesehen hat.

Umgekehrter Fall: Unlängst gehen wir an einer Tanzgruppe in einem Park vorbei und mein Kind beäugt skeptisch, was die Damen da machen. Eine ältere Frau bleibt stehen, grinst erwartungsvoll in den Kinderwagen und empört sich dann gegenüber meinem Kind: „Was schaust du denn so bös’? Lach’ doch ein bisschen!“ Dabei gab es in dieser Situation – da bin ich Zeugin – wirklich nichts zu lachen. Also ich ging mit einem „Mein Kind darf so schauen, wie es will“ weiter. Natürlich, ohne die Dame eines weiteren Blickes zu würdigen.

Schade, dass wir diese kindliche Unbedarftheit im Laufe der Zeit ablegen. Andererseits hätte sich die Dame wohl auch nicht gefreut, wenn mein Kind sie mit „Hallo Opa!“ begrüßt hätte.

laila.docekal@kurier.at

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