Liebe, Red Bull und Einbrecher: Beobachtungen vor den Gefängnismauern
Eindringling. Fast jeden Tag spaziere ich an der Justizanstalt St. Pölten vorbei. Ich parke dort in der Gegend, am Weg zum Büro sehe ich die hohen Gefängnismauern. Vor einiger Zeit wurde das Areal mit größeren Stacheldrahtrollen ausgerüstet. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden angeblich deshalb verschärft, weil jemand versucht haben soll, in den Häfn einzubrechen. Ein Unbekannter kletterte am Dach herum, der Alarm ging los, eingefangen werden konnte der Eindringling nicht. Einbrecher statt Ausbrecher, sehr seltsam.
Abschiednehmen. Oft sieht man auch Szenen des Abschiednehmens. Oder des Wiedersehens. Interessanterweise scheint es dabei ein gewisses Ritual zu geben. Denn die letzte Minuten in Freiheit werden mit Red Bull und Zigaretten verbracht, die ersten Minuten in der wiedergewonnene Freiheit ebenso. Möglicherweise sind picksüße Energydrinks hinter Gittern verboten, ich weiß es nicht.
Liebe. Mehr als ein Jahr lang sah ich jeden Dienstag eine Frau, die frisch geschminkt vor dem Gefängnis stand. Sie stand einfach nur da, sagte nichts und blickte zu einem Zellenfenster. Dann verstand ich erst, dass sie Augenkontakt zu einem Häftling suchte. Jeden Dienstag, bei Wind und Wetter war sie da. Auch dicke Mauern können Liebe nicht aufhalten.
Kürzlich erzählte mir ein Kriminalist von der Einlieferung eines St. Pöltners in den Knast. „Ich schwöre dir, dass ihn alle Wachleute begrüßt haben. Jeder kannte seinen Spitznamen“, berichtete der Ermittler. Ich muss gestehen: Mir ist der junge Mann, der nun gärtnert, ebenfalls nicht unbekannt.
St. Pölten ist halt auch nur ein Dorf.
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