Lektion 1: Die wichtigste Zutat beim englischen Weihnachtsmahl
„Sicher?“ Kommt die vorsichtige Frage. Aber nach 721 Wiederholungen von „Tatsächlich Liebe“, 329-mal „Liebe braucht keine Ferien“ und fast drei Jahren in der neuen Heimat gibt es keinen Zweifel: Die britischen Weihnachtsbräuche sitzen. Ich weiß, dass Kränze nicht mit Kerzen auf dem Esstisch sitzen, sondern mit Schleifen an der Haustür hängen, dass auf Weihnachtsmärkten mitunter Jahrmarktstimmung wie im Prater herrscht, dass in den Mince Pies kein Faschiertes, sondern Früchte und Brandy sind. Und dass man die zuckerlgeformten Christmas Crackers mit dem Tischnachbar um die Wette ziehen und das längere Stück abreißen muss, um sich das Geschenk im Inneren zu sichern. Wer freut sich nicht über eine Nagelfeile?
Angewandt.
Und so stand dem finalen Weihnachtstest als Neo-Britin nichts im Wege: ein englisches Weihnachtsessen für Freunde mit Truthahn, Fülle, Kohlsprossen, Bratkartoffeln. Vorkochen? Für Anfänger! Zumindest der Tisch ist zu Mittag so perfekt, dass es dem Stilbewusstsein des englischen Adels entspricht; mit gefalteten Servietten und Tannengirlanden aus dem Supermarkt, die eigentlich auf den Kaminsims gehören.
Zwei Stunden später ist die Küche verdreckt, der iPhone-Bildschirm vom Scrollen mit teigigen Händen klebrig. Kaum aufgeräumt, läuten die Gäste.
Gescheitert?
Doch dann sind einzig die Roast Potatoes perfekt, um die sich der britische Partner selbst kümmerte (die sind zu heilig!). „Na, das wird noch eine gute Suppe“, kommt der erste Witz beim Anblick der zugegebenermaßen sehr flüssigen Fülle. „Du sollst den Truthahn braten, nicht das Haus“, lacht die Freundin, als dann auch noch der Feueralarm anspringt. Katastrophe! Sie werden nie wieder zum Weihnachtsessen kommen!
Doch beim Abschied drücken sie uns ganz fest und fragen: „Nächstes Jahr wieder?“ Denn ein wirklich englisches Weihnachtsessen stillt vor allem den Humor.
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