Die Welt besteht nicht nur aus silbernen Glitzerkleidchen
Vielleicht lag es am grauen Wetter, vielleicht an der zweijährigen Zwangspause oder am Comeback des Live-Publikums: Jedenfalls leuchtete die Regenbogenflagge bei diesem Song Contest besonders hell. Zwei Siegersänger, die einander nach der Performance auf den Mund küssten, die erste Transgender-Moderatorin der ESC-Geschichte, eine Sängerin, die coram publico die pansexuelle Flagge schwenkte. Im üblichen Meer aus wehenden Mähnen und glitzernden Kleidchen eine willkommene Abwechslung, die dem eigentlichen Zweck des ESC – nämlich die Vielfalt Europas zu demonstrieren – gerecht wurde.
Quasi als Vorprogramm war eine neue Doku zu sehen, die sich mit der Geschichte der Homosexualität in Österreich befasste. Wir lernten: Vor 50 Jahren wären die beiden Italo-Rocker nach ihrem Bühnenkuss wegen Unzucht wider die Natur verhaftet worden und Transgender bestenfalls ein Fall für den Wanderzirkus gewesen. Die Regenbogenflagge erinnert daran, dass diese Errungenschaften nicht selbstverständlich sind, sagte der Filmemacher Peter Fässlacher, 35, im KURIER-Interview. Er lebt selbst offen schwul, kennt die Vorurteile und quälenden Ängste vor einem Coming-out. Er kennt auch den Satz, den schon viele Millennials am Familientisch diskutiert haben: „Die“ sollen sich nicht so in den Vordergrund drängen, bei uns dürfe ohnehin jeder so leben, wie er möchte.
Abgesehen davon, dass dies noch nicht überall der Fall ist, wird häufig vergessen, dass es diese Freiheiten ohne Proteste, Lautsein und bunte Paraden vielleicht nicht gäbe. Und dass Gleichstellung nur über Sichtbarkeit funktioniert. Die Welt besteht eben nicht nur aus schlanken Blondinen in knappen Glitzerkleidchen. Gut, dass uns der Song Contest ab und zu daran erinnert.
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