Die neue Scheinheiligkeit

Die neue Scheinheiligkeit
Scheinheilig, wer Body Positivity und Altern in Würde predigt und sich dann über den Look von Madonna empört.
Laila Docekal

Laila Docekal

Jedes Mal, wenn ich ein aktuelles Bild von Madonna sehe, löst der Anblick bei mir gemischte Gefühle aus. Und offenbar nicht nur bei mir: Denn jedes Mal empören sich unzählige Zuschauer in Online-Kommentaren darüber, wie sich die 63-Jährige kleidet, wie viel Haut sie in dem Alter noch immer zeigt und wie sich ihr Erscheinungsbild nach unzähligen Beauty-Behandlungen verändert hat.

Da werden schnell Rufe laut, die das Altern in Würde propagieren. Promis, die zu ihren Falten im Gesicht stehen, werden als stilvolle Vorbilder gefeiert. Immerhin erzählt doch jede Falte eine Geschichte und wer will schon seine Vergangenheit verleugnen. Operierte Gesichter mit starrer Mimik oder auffällig betonten Partien gelten als verpönt und bemitleidenswert, weil man sich selbst nicht so liebt wie man eben geschaffen wurde.

Wie scheinheilig!

In dieser ach so körperpositiven Welt, wo jeder gehypt wird, der zu seinen Makeln steht, endet die Toleranz oft genau dort, wo um Gerechtigkeit gekämpft wird: bei der Selbstbestimmung. Da werden Frauen, die mit gesundheitsgefährdend hohem Übergewicht modeln, zu Vorbildern stilisiert. Menschen mit Behinderungen oder Vernarbungen erobern als Teil der normalen Vielfalt das Rampenlicht von Laufstegen. Ältere Frauen werden dafür gefeiert, dezent geschminkt in farblich gedeckter Unterwäsche ihre faltige Haut zu präsentieren.

Doch wenn Madonna, die Ikone der Tabubrecher, sich treu bleibt, mit ihrem Körper macht, was sie will, und ihn präsentiert, wie sie will – so wie sie es ihr gesamtes öffentliches Leben schon getan hat – dann wird sie als schrullige Alte mit Geltungsdrang abgestempelt.

Andererseits: Sie empört und das konnte sie als 25-Jährige schon gut.

laila.docekal@kurier.at

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