Von Europas Schande zur neuen Realität

UNGARNS MINISTERPRÄSIDENTEN VIKTOR ORBAN IN WIEN : KICKL/ROSENKRANZ/ORBAN
Die FPÖ sieht die EU als Problem, nicht als Lösung. Für Österreich heißt eine blaue Führung ein Ende der proeuropäischen Haltung.
Bernhard Gaul

Bernhard Gaul

Es deutet alles darauf hin, dass es erstmals eine Bundesregierung unter Führung der FPÖ geben wird. 

Weil skurrilerweise die FPÖ die Verhandlungen nicht scheitern lassen wird – schließlich winkt als Hauptpreis ein blaues Kanzleramt –, und die ÖVP die Verhandlungen nicht platzen lassen darf, weil sie nach Neuwahlen noch schlechter dastehen würde.

Zweifellos wird das eine gewaltige Zäsur für Österreich. Dennoch wird kein Magazin wie im Jahr 2000 die FPÖ-Regierungsbeteiligung mit „Die Schande Europas“ betiteln, die EU-Kommission wird keine politischen Sanktionen verhängen und keine „drei Weisen“ nach Wien entsenden. 

Der Rechtsruck in der Europäischen Union ist ja längst Realität, mit Viktor Orban in Ungarn oder Wilders in den Niederlanden. Und die AfD in Deutschland und Marine Le Pens Rassemblement National sind demnächst am Sprung in Regierungen.

Also müssen sich jetzt „Linke, Liberale und Schwuchteln“ fürchten? So definierte jedenfalls die polnische Partei Ruch Narodowy („Nationale Bewegung“) ihre Feindbilder  – diese Partei bildet  gemeinsam mit den Abgeordneten der FPÖ, des Vlaams Belang aus Belgien, der niederländischen Partij voor de Vrijheid und  Le Pens Rassemblement  die neue (drittstärkste)  EU-Fraktion „Patrioten“.

Seit der EU-Wahl im Juni 2024 haben sich nämlich fast unbemerkt neue Allianzen gebildet: Die „Patrioten“ sind gemeinsam mit den beiden anderen Rechtsfraktionen EKR (u. a. mit der polnischen PiS und Melonis Fratelli) und  der Fraktion „Europa der Souveränen Nationen“ (mit der deutschen AfD) bereits stark.

Mit der  größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei (EVP), haben die Genannten eine rechts-rechte Mehrheit im EU-Parlament. Die ÖVP hatte schon im Herbst kein Problem damit, mithilfe dieser Allianz Teile des Green Deals  wieder zu löschen.

Dabei wird es nicht bleiben. Denn für Österreich heißt eine blaue Führung eine 180°-Kehrtwendung in Brüssel und ein Ende der grundsätzlich proeuropäischen Haltung. Denn die FPÖ sieht die EU als Problem, nicht als Lösung, will Europa nur als Freihandelszone, alle anderen Kompetenzen sollen zurückgeholt werden. Die EU-Gerichtsbarkeit wird angegriffen, das EU-Budget eher kleiner als größer werden, Klima- und Umweltziele einfach ignoriert.

Größte Hürde wird die blaue Ukrainepolitik werden: Die FPÖ warb mit „EU-Wahnsinn stoppen“, bezichtigt die EU (und nicht Russland), Kriegstreiber zu sein, und will jegliche Hilfe für die Ukrainer besser heute als morgen einstellen. 
Am Ende wird Kickl wohl von der Realität eingeholt, was nämlich geht und wo er pragmatisch sein muss. Die Post-Faschistin Meloni hat sich auch zu einer pragmatischen pro-europäischen Politikerin entwickelt. Es ist aber auch möglich, dass Kickl alles eskalieren lässt.

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