Es gibt sie noch – jene Politikerinnen und Politiker, die sich Zeit nehmen, um der Wählerschaft zu erklären, was sie erreichen wollen und warum man sie wählen sollte. Egal, welcher politischer Farbe sie zuneigen – ihnen sei an dieser Stelle ein Hohelied gesungen.
Denn schon bald könnten sie einer politischen Minderheit angehören, die von Neo-Social-Media-Politstars und deren superkurzen, gefälligen „Messages“ in den toten Winkel gedrängt werden. Warum sich die Mühe machen, ein schmerzhaftes Pensionsaltererhöhungsprogramm zu erklären, wenn doch ein 60-Sekunden-Clip auf TikTok, am besten mit einem Bier in der Hand, so ungleich viel mehr Popularität einbringt?
Genau – und mehr als ein Drittel aller jungen Menschen unter 25 Jahren nimmt politische Botschaften sowieso nur noch via TikTok wahr.
Im Durchschnitt verbringen die User täglich eineinhalb Stunden auf der Plattform – da lässt sich der eine oder andere auf simpel getrimmte, politische Clip schon unterbringen.
Bühne für extrem Rechte und Populisten
Bedauerlicherweise wissen besonders rechtsextreme Politiker die politische Bühne auf TikTok für sich zu nutzen: In Polen etwa katapultiert sich der 36-jährige Steuerberater Sławomir Mentzen mit seinen millionenfach geclickten Clips vor der Präsidentenwahl plötzlich in ein Umfragehoch.
Klettert dank TikTok in den Umfragen hoch: Polnischer Politiker Slawonimir Mentzen
Da stört es seine jungen Anhänger wenig, dass im Parteiprogramm steht: „Wir wollen keine Juden, Homosexuelle, Abtreibung, die Europäische Union oder Steuern.“
Übel stand es auch in Rumänien, wo der ultra-rechte Präsidentschaftskandidat Călin Georgescu letztlich doch noch vom nächsten Urnengang ausgeschlossen wurde: Es hatte sich gezeigt, dass sein explosionsartiger Popularitätsschub, geschuldet einer phänomenalen Präsenz auf Social Media, mit russischer Unterstützung zu tun hatte.
Berater beknien „ihre“ Politiker schon seit Jahren: Sie alle müssten auf TikTok aktiv werden, dürften den Extremisten und Populisten nicht diese riesige politische Bühne überlassen.
Selbst US-Präsident Donald Trump, der einst die Plattform verbieten lassen wollte, wird nicht mehr auf diesen gigantischen Popularitätshebel verzichten – sondern sucht nur noch nach Wegen, wie der ungeliebte chinesische Besitzer gegen einen amerikanischen ausgewechselt werden kann.
TikTok einfach verbieten – wie es seit kurzem Albanien praktiziert? Eher sinnlos, weil es Wege gibt, die App via VPN zu umgehen. Die Downloadzahlen solcher VPNs sind in Albanien seit März explodiert.
Fazit: An TikTok kommt kein Politiker mehr vorbei – gefährlich wird es nur, wenn sich die Plattform als bestimmendes politisches Informationsmedium breitmacht. Und wenn die Wähler vergessen, dass ein Land zu regieren mehr Herausforderungen stellt, als sich in einem coolen 60-Sekunden-Video-Clip feiern zu lassen.
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