Wo anfangen mit der Betrachtung? Vielleicht bei Recep Tayyip Erdoğan, dem türkischen Machthaber seit 20 Jahren. Weil er der Archetyp des unberechenbaren Potentaten, der erratisch wirkt, aber nur aus einem, aus seinem Interesse handelt, ist.
Er wird demnächst Wladimir Putin empfangen und ihm die Bühne eines NATO-Staates bieten (im Gegenzug für Geschäfte). Er lässt den Russen ein bisschen zappeln und liefert der Ukraine Drohnen. Er blockierte lange Schwedens NATO-Beitritt und vergleicht Israels Netanjahu mit Hitler – das und die Heroisierung der Mörderbande Hamas zur Freiheitsbewegung sichert ihm die Zustimmung breiter Teile seiner muslimischen Bevölkerung. In Europa brüskiert er gerne, wenn Wahlen daheim anstehen (für die türkischstämmigen Stimmen), jetzt auch in Deutschland mit einer Partei für die Europa-Wahl.
Erdoğans egoistisches Mäandern (er ist nicht in München dabei); Putins Revanchegelüste gegen den Westen (die kündigte er 2007 in seiner spektakulären Rede in München an) ; Xi Jinpings neokolonialistischer Marsch auf dem Weg zur Nr. 1 der Welt; das Schüren des antiaufklärerischen Feuers in Teilen der arabischen Welt; die Geldmacht in anderen Teilen; der BRICS-Staatenblock gegen die Deutungshoheit des Westens (mit moralischer Selbstgefälligkeit just Südafrikas); die Null-Nummer namens UNO; die drohende Re-Trumpisierung Amerikas und die drohende Weidel- und Kicklisierung Europas – das Erratische scheint zur einzigen Konstante geworden.
Stimmt: Früher war nicht alles besser. Der Kalte Krieg war gefährlich – aber er brachte Stabilität. Die Fehler begannen danach. Mit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches und der Hoffnung des Westens, jetzt werde alles demokratisch und gut. Mit dem naiven Glauben und der Arroganz, unser Muster müsste überall Gefallen finden (Stichwort: befeuerter arabischer Frühling). Und China, Indien, Afrika? Weit weg.
Jetzt ist die Sehnsucht nach Konstanz groß. Aber ein Rückgriff auf die Abschreckung von einst – der böse Russe bedroht uns atomar im All, Europa braucht die Bombe, auch das ist in München wohl Thema – wäre allenfalls eine billige Schimäre von Sicherheit. Die aufgeklärte Welt wird mit fehlender Konstanz und einem sich ständig verändernden, allerorts selbstbewusster auftretenden Umfeld leben – und darauf zugehen müssen. Sie bräuchte dazu Staatenlenker von Format und darf sich dabei nicht auseinanderdividieren lassen. Das wird angesichts der Entwicklungen in den USA und in EU-Europa die vermutlich schwierigste Aufgabe.
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