Überwachungsstaat? Österreich ist nicht einmal ein "Little Brother"

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Mehr Kameras im öffentlichen Raum und Messenger-Überwachung: Österreichs Sicherheitsapparat kommt langsam im 21. Jahrhundert an. Gut so!
Michael Hammerl

Michael Hammerl

Manchmal schlägt die Realität die Dystopie: China bastelt an einer Dauerüberwachung, die George Orwell nicht besser hätte erdenken können. 700 Millionen Kameras filmen das Tagewerk von 1,4 Milliarden Menschen. Ergänzt um Gesichts- und Stimmerkennung, flächendeckende Handyortung und eine „Messenger-Überwachung“, die diese Bezeichnung tatsächlich verdient, kann man bilanzieren: Der chinesische Staat weiß jederzeit, wo sich seine Bürger und Touristen aufhalten, was sie machen, sagen und teilweise wohl auch denken. Und dieser gottähnliche, digitale Überwachungsstaat wird jeden Tag weiter perfektioniert.

Nicht nur im Vergleich dazu ist Österreichs „Überwachungsregime“ geradezu lächerlich. Mit Blick auf die technischen Mittel steckt man, freundlich formuliert, irgendwo in der Spätphase des Fax-Zeitalters.

Bitte nicht falsch verstehen: Wesentliches Merkmal westlicher, liberaler Demokratien ist es, Bürger nicht bis ins Private zu verfolgen. Daran ändert auch der Widerspruch nichts, dass wir über Social Media ohnehin sorglos privateste Details preisgeben. Und damit häufig bereitwilliger Daten an autokratische Regierungen oder Geheimdienste liefern als an den eigenen Staat.

Verkündet Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) wiederum dieser Tage, die Videoüberwachung in Österreich ausbauen zu wollen, ist der Aufschrei der Datenschützer besonders heftig. Aber ist es wirklich ein „Angriff auf die Grundrechte“, wenn die Polizei öffentliche Plätze mit höherer Kriminalität stärker überwacht?

Die Debatte ähnelt jener über die Messenger-Überwachung: Kritiker verweisen auf mangelnde Evidenz der Maßnahme und auf die Verfassung. In der Vergangenheit behielten sie damit oft recht. Der türkis-blaue Bundestrojaner war ein rechtlicher Rohrkrepierer. Deshalb hob ihn der VfGH auch auf. Ob Karners neuer „Trojaner“, ab 2027 geplant, die Prüfung des Höchstgerichts überlebt, bleibt abzuwarten.

Doch bei aller Liebe zur Freiheit: Teilweise bekommt man das Gefühl, die Exekutive stünde unter Generalverdacht. Eine sanfte Modernisierung von Überwachungsmaßnahmen wäre eigentlich nur bedenklich, wenn Behörden diese missbräuchlich einsetzen. Zusätzliche Überwachungskameras machen Karner noch zu keinem „Big Brother“, wegen einer Messenger-Überwachung mit richterlicher Genehmigung wird er zu keinem „Trojaner“.

Es ist nicht schlüssig, warum Österreichs Sicherheitsapparat auf technische Hilfsmittel verzichten soll, die gefestigte Demokratien ebenfalls einsetzen. Und: Werden wir die spitzfindigen Gegenargumente auch noch hören, wenn Messerattacken oder Terroranschläge durch neue Ermittlungsmethoden verhindert werden konnten?

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