Die Regierung klebt ein Pflaster auf einen offenen Bruch

Er könne nicht ausschließen, dass weiteres „Ungemach droht“, verkündete Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) im ORF-„Sommergespräch“. Gemeint war die Inflationsrate, die im August auf 4,1 Prozent geklettert ist und im Herbst weiterklettern dürfte. Doch Stockers „Ungemach“ könnte man genauso auf die steigenden Arbeitslosenzahlen, den nächsten Pleitenrekord oder das Budgetloch ummünzen, dessen finale Größe nicht zuletzt von der Konjunktur abhängt.
Mittlerweile ist auch den größten Optimisten klar: Die Krise erwischt Österreich, vor allem die Industrie, mit unvergleichlicher Wucht. So schmerzhaft die Einschnitte der Regierung bei Pensionen, Förderungen und Familienleistungen da scheinen; so schwierig es für ÖVP und SPÖ gewesen sein muss, sich nach den Kurz-Jahren zusammenzuraufen; und so ehrenwert es ist, dass neben den Neos nun auch die ehemaligen Großparteien die Pensionen unter der Inflationsrate erhöhen wollen: Reicht das?
Wer in den vergangenen Monaten mit Ökonomen und Unternehmern gesprochen hat, kann nur antworten: Nein. Die Lösungsansätze der Regierung sind konsensorientiert und sicher gut gemeint, aber im alten Denken verhaftet. Sie folgen der Logik des sozialpartnerschaftlichen Interessensausgleichs, des kleinsten gemeinsamen Nenners – und damit einer Politik ohne Mut und Vision. Das hat jahrzehntelang gereicht, als die Gesellschaft noch nicht überaltert war, Zuwanderer zum Arbeiten kamen und billiges Gas aus Russland über die Grenze strömte.
Mittlerweile führt diese Politik dazu, dass Österreich in allen relevanten EU-Statistiken zu den Verlierern zählt. Die bittere Realität ist, dass Türkis-Rot-Pink grundlegende Fehler im System weiter einzementiert. Die Erzählung, man spare beim Doppelbudget vor allem ausgabenseitig, stimmt nicht – sonst würden Steuern und Abgaben nicht weiter steigen. Mit einer Staatsquote von über 56 Prozent zählt Österreich in der falschen Tabelle zur EU-Spitze.
Jetzt kündigt die Regierung an, eine Milliarde Euro in die Wirtschaft pumpen zu wollen. Die Maßnahmen waren weitestgehend schon budgetiert. Genauso könnte man ein Pflaster auf einen offenen Bruch kleben. Wo bleibt die Lohnnebenkostensenkung? Wo bleiben steuerliche Anreize? Wo die Energiepreisbremse? Wo der Bürokratieabbau? Wer soll unter diesen Bedingungen bittschön noch Arbeitsplätze schaffen?
Mit dieser Herangehensweise komplimentiert man auch den patriotischsten Industriebetrieb in die Ferne und ebnet den Weg in die Staatswirtschaft. Langsam, aber doch kann sich Österreich damit anfreunden, endgültig zu jenem „Disneyland für Tourismus“ zu verkommen, vor dem FPÖ-Budgetsprecher Arnold Schiefer gewarnt hat.
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