Europa kann sich nicht mehr wegducken - wacht auch Österreich auf?

Saal mit buntem Teppich
Vielleicht muss man Donald Trump noch dankbar sein: dafür, dass er Europa keinen Ausweg mehr lässt, sich wegzuducken und in Österreich die Frage aufwirft, ob die Neutralität noch schützt.
Ingrid Steiner-Gashi

Ingrid Steiner-Gashi

Jahrelang haben Europas Staats- und Regierungschefs bei ihren Gipfeltreffen die Augen verdreht, wenn Emmanuel Macron wieder einmal auf seinem Lieblingsthema herumritt: „Strategische Autonomie“ für Europa müsse her, verlangte der französische Staatschef gebetsmühlenartig und dachte dabei nicht nur an mehr ökonomische Stärke, mehr digitale Eigenständigkeit und Forschungserfolge Europas, sondern auch an die Verteidigung des Kontinents.

Nach Macrons Wahl 2017 gab es tatsächlich Überlegungen, wie sich Europa – und das neutrale Österreich war im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten auch dabei – in seiner militärischen Zusammenarbeit besser aufstellen könnte.

Dann hieß es auch noch:

Wie beim europäischen Projekt Airbus solle sich Europa bei seiner Rüstungsbeschaffung zusammentun – was die Effizienz erhöhen und die enormen Kosten senken sollte. Viele bedeutungsschwere Worte, ehrgeizige Pläne und leere Kilometer folgten. 

Von "obsolet" zu "hirntot"

Jahre vergingen mit der Diskussion, ob die NATO „obsolet“ (Donald Trump) oder „hirntot“ (Macron im Jahr 2019) oder auf ewig Garant der europäischen Sicherheit sei.

Alle Diskussionen und noblen Vorhaben wären ja gut und schön gewesen, hätte Europa nicht unendlich viel Zeit verloren. Jetzt, da sich die USA vom alten Kontinent abwenden, weil der mit dem Blick Donald Trumps auf die Welt für die Supermacht schlicht unwichtig wurde, steht Europa verteidigungspolitisch nackt da. Ohne die Fähigkeiten der US-Armee sind die europäischen Truppenteile in der NATO quasi blind und taub. 

Hat man das in Europa nicht gewusst? 

Natürlich – es hat nur jedes europäische Land von Schweden im Norden bis Griechenland im Südosten blindlings drauf vertraut, dass Washington seinen Alliierten in Europa stets zur Seite stehen würde.

Vielleicht muss man Donald Trump noch einmal danken: dafür, dass er Europa keinen Weg mehr offenlässt, sich wegzuducken. Dafür, dass Europa offenbar endlich verstanden hat, dass die Zeitenwende, die Russland mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine losgetreten hat, in Wahrheit eine radikale Zäsur ist. Und dafür, dass er in Österreich vielleicht die Frage aufwirft, wie weit uns unsere Neutralität vor Aggressoren bewahrt.

Staaten sind verpflichtet, für die Sicherheit ihrer Bürger zu sorgen. Auch Europa ist verpflichtet, sich zu wehren, wenn es angegriffen wird. Wenn nun beim EU-Gipfel erstmals konkret über Milliarden für die gemeinsame Verteidigung gerungen wird, darf man hoffen, dass auch die europäischen Staatenlenker begriffen haben, dass es letztlich für den Kontinent darum geht, nicht aufgerieben zu werden: zwischen einem gewaltbereiten Russland, einer zynischen Supermacht USA und dem Giganten der Zukunft, China.

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