Die Champagner-Nazis
Martin Gebhart
01.06.24, 18:35Dass Asylpolitik in der Gesellschaft polarisiert und von Ausländer-raus-Rufen begleitet wird, ist Alltag. Die erstarkten, extrem rechten Kräfte haben das Thema zu ihrem Markenzeichen gemacht.
Dennoch hat eine Party auf der Ferieninsel Sylt in Deutschland für besondere Aufregung und für Entsetzen gesorgt. Eine Schickimicki-Gesellschaft tanzte zu dem Hit „L’Amour Toujours“ von Gigi D’Agostino und grölte „Ausländer raus“. Das Magazin Stern titelte daraufhin sogar: „Die Champagner-Nazis“.
In Österreich gab es ähnliche Fälle. In Klagenfurt etwa waren es Maturanten, die solche Gesänge für lustig empfunden haben. Einige Radiosender streichen daraufhin sogar den Hit aus ihren Songlisten, um nur ja nicht in den Geruch dieser moralischen Grenzüberschreitungen zu kommen. Damit wird ein Künstler in Geiselhaft genommen, obwohl er mit diesen rassistischen Auswüchsen überhaupt nichts zu tun hat.
Das Entsetzen ist vielleicht deswegen so groß, weil diese Gesänge in eine Zeit fallen, die ohnehin schon beängstigend mit Aggressivität aufgeladen ist. In der die Suche nach Feindbildern den politischen und auch gesellschaftlichen Diskurs dominiert und die Suche nach Verbindendem in den Hintergrund gedrängt wird. Befeuert durch die sozialen Medien. Wenn rassistische Ressentiments nun bereits für Partystimmung sorgen, dann beginnen tatsächlich alle Dämme zu brechen.
Jetzt kann man natürlich sofort darauf verweisen, dass das nur Einzelfälle sind, die aufgebauscht werden. Das ist eine Fehleinschätzung. Es sind jene Fälle, die öffentlich geworden sind. Es sind jene Fälle, die uns gezeigt haben, wie sehr die Gesellschaft aufpassen muss, dass nicht langsam alles entgleitet. Da an die Politik zu appellieren, ist leider schwierig, weil etliche ihrer Proponenten für diese Aggressivität auch mitverantwortlich sind.
Vor wenigen Wochen wollte die ÖVP eine Debatte über eine Leitkultur anstoßen. Über jene Werte, die unsere Gesellschaft in Österreich ausmachen. Wegen einer missglückten Werbekampagne wurde das Thema aber sofort wieder in der Schublade verräumt. Das ist schade, weil wir mehr denn je so eine Diskussion bräuchten. Nicht nur, um Flüchtlingen einen Wertekatalog vorlegen zu können, wenn sie bei uns aufgenommen werden wollen. Es geht um uns selbst. Es geht um den Wertekompass, der verrutscht zu sein scheint.
Es geht darum, dass es nicht schick und lustig ist, „Ausländer-raus-Lieder“ zu singen, um bei den aktuellen Beispielen zu bleiben. Vielleicht besteht ja noch die Chance, dass diese Wertediskussion nach der Nationalratswahl wieder aufgegriffen wird. Wenn die Politik dazu nicht imstande ist, dann werden wohl führende Kräfte der Zivilgesellschaft einspringen müssen.
Kommentare