Der Dialog ist nicht mehr gefragt

Walter Rosenkranz, Erster Nationalratspräsident
Das Gespräch zu suchen und zu führen - das scheint keine politische Kategorie mehr zu sein. Man setzt aktuell lieber auf den Konflikt.
Martin Gebhart

Martin Gebhart

In der Politik hat es nie wirklich die „gute alte Zeit“ gegeben, auch wenn diese angesichts so mancher aktueller Entwicklungen immer wieder heraufbeschworen wird. Was sich geändert hat: So manche – für die Demokratie so wichtige – Parameter haben an Bedeutung verloren. Etwa der Kompromiss, der meist bereits als Niederlage angesehen wird.

Man setzt sich enge rote Linien, um ja nicht auf das Gegenüber zugehen zu müssen. Oder der vorurteilsfreie Dialog, der zu einem vernachlässigbaren Übel degradiert worden ist.

In diesem Zusammenhang müssen einem die Bilder vom 8. November schwer im Magen liegen. Der demokratisch gewählte – das müssen auch seine Gegner anerkennen – FPÖ-Nationalratspräsident will zum Gedenken an die Novemberpogrome 1938 auf dem Wiener Judenplatz einen Kranz niederlegen und wird daran von einer Menschenkette der jüdischen Hochschülerschaft gehindert. Szenen, die man im Jahr 2024 eigentlich nicht mehr für möglich gehalten hat.

Jetzt gibt es viele Ansatzpunkte, die den Protest gegen Walter Rosenkranz verständlich machen. 

Dass die extrem rechten Burschenschaften – Rosenkranz ist Mitglied einer solchen schlagenden Verbindung – ihre Vergangenheit nie wirklich aufgearbeitet haben. Dass ein Nazi-Verbrecher als „Leistungsträger“ tituliert worden ist. Dass notwendige Distanzierungen noch immer fehlen. Das alles muss aufgezeigt und verurteilt werden. Auch mit Transparenten und Demos, wenn Walter Rosenkranz den Judenplatz betritt. Aber das Verhindern einer Kranzniederlegung durch den obersten Vertreter des Parlaments? Ob das trotz aller gerechtfertigten Emotionen, von denen Ariel Muzicant als Vertreter des Europäischen Jüdischen Kongresses spricht, klug bzw. zielführend war?

Auf jeden Fall ist damit ein Dialog, der trotz aller Ressentiments geführt werden sollte, erschwert. Oder ist er vielleicht gar nicht gewünscht? Notwendig wäre er, weil gerade wenn es um den Kampf gegen den Antisemitismus geht, viele Agenden beim Nationalratspräsidenten angesiedelt sind. Nicht zuletzt der Vorsitz des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus. Und eben diese Fragen sollten nicht im Konflikt, sondern im Dialog gelöst werden.

Zielführende Dialogbereitschaft ist auch notwendig, wenn ÖVP und SPÖ – wahrscheinlich noch mit den Neos – eine Regierung bilden wollen. Da wollen die Menschen Ergebnisse hören und nicht Ankündigungen. Deswegen war es auch völlig deplatziert, dass die Neos jetzt schon auf das Finanzministerium pochen. Die Menschen haben es wirklich satt, dass über Funktionen und Personalia geredet wird, bevor noch der gemeinsame Weg definiert worden ist. Vor allem, weil bisher dieser Weg nicht einmal ansatzweise erkennbar ist.

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