Die Demokratie muss sich wehren

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Vielen Wählern geht es „zu gut“, sie erachten Werte wie Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit als selbstverständlich.
Christian Böhmer

Christian Böhmer

Wäre die Sache nicht zu ernst, man könnte beinahe darüber lachen: Deutschland prüft jetzt ein Einreiseverbot gegen den österreichischen Rechtsradikalen Martin Sellner, die Behörden halten ihn für eine ernste Bedrohung. Das bedeutet, dass ausgerechnet er, Sellner, der völkische Deportationsfantasien wälzt, nun selbst – und das notfalls mit Gewalt – außer Landes geschafft würde, sobald er deutsches Staatsgebiet betritt.

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Durch Österreichs Nachbarland geht gerade ein Ruck. Seit Wochen sind Hunderttausende auf der Straße, um gegen den Rechtsradikalismus und die AfD zu demonstrieren. Mit-Auslöser war ein Treffen radikaler Rechter in Potsdam, bei dem Sellner vor AfD- und CDU-Politikern über seine als „Remigration“ verniedlichten Deportationspläne für Staatsbürger mit „ausländischen Wurzeln“ referierte.

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Die „Wehrhaften“ nennt der Spiegel die Bürgerbewegung auf seinem Cover, die deutsche Zivilgesellschaft stellt sich in den Dienst der Republik. Und es steht zu hoffen, dass die Verteidiger der Demokratie auch hierzulande aufwachen, aufstehen und agieren.

Erste Anzeichen gab es vergangene Woche: In der Bundeshauptstadt haben Zehntausende dem Regen und der Kälte getrotzt, um ein Zeichen gegen die AfD, Identitäre und alles Anti-Demokratische zu setzen. Und am Sonntag sprach auch der Kanzler der „wehrhaften Demokratie“ das Wort, die „massiv“ gegen jedwede Art des Antisemitismus und des Rechtsextremismus aufzutreten habe. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Karl Nehammer in der FPÖ nur Herbert Kickl als „rechtsextrem“ empfindet. Was er mit all den blauen Verantwortungsträgern macht, die ebenfalls starke Sympathien für die Ideen der Identitären hegen, wird er noch zu beantworten haben.

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In der Zwischenzeit gilt die Aufmerksamkeit der Demokratie und der Frage, wie selbstverständlich sie geworden ist.

Denn es trifft wohl zu, dass es vielen Wählern in Österreich und Europa insofern „zu gut geht“, als sie Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Unantastbarkeit der Menschenwürde als selbstverständlich erachten, während autoritäre Bewegungen weltweit an Kraft gewinnen.

➤ Mehr dazu: Demokratie muss man lernen 

In dieser Situation muss sich die Demokratie wehren und ihre größte Schwäche überwinden, nämlich: zu nachsichtig und tolerant gegenüber ihren Feinden zu sein.

Im vergangenen Jahrhundert hat einer der übelsten Politiker aller Zeiten einen Artikel über die „Dummheit der Demokratie“ verfasst. Es sei „einer der besten Witze der Demokratie“, „dass sie ihren Todfeinden die Mittel selbst gibt, durch die sie vernichtet wurde“. Der Mann hieß Joseph Goebbels und das Ende der Weimarer Republik hat seine These auf fürchterliche Art bestätigt. Man sollte ihm nicht den Gefallen tun, denselben Fehler zweimal zu begehen.

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