Das Gezerre um Gesundheitsdaten

Arztpraxis
Die grenzübergreifende Vernetzung medizinischer Informationen darf nicht an populistisch geführten Datenschutz-Debatten scheitern.
Josef Gebhard

Josef Gebhard

Es ist ein Projekt, das zumindest bei oberflächlicher Betrachtung tatsächlich ein mulmiges Gefühl in der Magengrube hinterlässt: Mit dem Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) will die EU in den nächsten Jahren grenzübergreifend den Zugriff auf die Gesundheitsdaten der Bürger ermöglichen. Nicht nur um die alltägliche Behandlung zu vereinfachen, sondern auch, um eine Grundlage für medizinische Forschung in großem Stil zu schaffen. In wirklich großem Stil, schließlich geht es um den Zugriff auf die Daten von bis zu 450 Millionen EU-Bürgern.

Bereits 2029, so der aktuelle Plan, sollen die ersten Daten wie Patientenkurzakten und elektronische Rezepte EU-weit ausgetauscht werden können. Bald darauf auch Röntgenbilder und Labordaten.

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Rechtspopulisten aus allen Ecken des Kontinents das Thema für sich entdecken, um gegen vermeintliche Überwachungspläne aus Brüssel zu wettern. Fiel doch schon die jüngste – von Falschinformationen durchsetzte – Kampagne gegen den WHO-Pandemievertrag in der Anhängerschaft dieser Gruppierungen auf äußerst fruchtbaren Boden.

Keine Frage: Datenschutz-Bedenken müssen ernst genommen werden. Gerade, wenn es um heikle medizinische Daten geht. Was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass bei der Debatte um die Vernetzung von Gesundheitsdaten (siehe ELGA) oft die nötige Ernsthaftigkeit fehlt. Denn wie glaubhaft ist es, gegen solche Projekte Sturm zu laufen, und gleichzeitig völlig sorglos seine Daten via sozialen Medien, KI-Anwendungen oder Smartwatches internationalen Großkonzernen zur Verfügung zu stellen, wo niemand kontrolliert, was mit ihnen letztlich geschieht?

Nicht von ungefähr spricht der Komplexitätsforscher Peter Klimek von einer Debatte „auf einer schiefen Spielebene“, in der öffentliche Institutionen trotz ihrer viel höheren Sicherheitsstandards in Sachen Datenschutz viel kritischer beäugt werden als gewinnorientierte Tech-Konzerne in den USA oder China. Sie haben längst schon das ökonomische Potenzial von Gesundheitsdaten erkannt und versuchen mit allen Mitteln, sie abzugrasen.

Umso wichtiger ist es, auf europäischer Ebene öffentlich kontrollierte Systeme zur Datenverarbeitung aufzubauen, um insbesondere bei der Forschung nicht ins Hintertreffen zu geraten. Voraussetzung ist, dass die Politik offensiv die Vorteile von so sensiblen Projekten wie den EHDS für die Patienten kommuniziert und auf berechtigte Bedenken eingeht. Was bis dato jedoch kaum passiert ist, obwohl schon die ersten Verordnungen zum EHDS in Kraft getreten sind. Das sollte sich schleunigst ändern.

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