Was die EU mit den Gesundheitsdaten ihrer Bürger vorhat

Rascher Zugriff auf die eigenen Gesundheitsdaten – egal ob man gerade bei einem Arzt in Paris oder in einem Spital in Berlin sitzt. Ein gigantischer Pool an anonymisierten Patientendaten, mit denen europaweit medizinische Forschung betrieben werden kann. All das verspricht ein Großprojekt der EU: Der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS). Im März hat die EU mit einer Verordnung den Grundstein gelegt, in den kommenden Jahren soll er schrittweise ausgerollt werden (siehe rechts).
Der EHDS war am Mittwoch Thema einer Expertenrunde im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach.
Für den Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub ist er ein wesentliches Werkzeug, um den aktuellen Herausforderungen im Gesundheitssystem zu begegnen. „Die demografische Entwicklung sorgt für immer mehr alte, kranke Menschen, gleichzeitig steht eine Pensionierungswelle beim Gesundheitspersonal an. Umso wichtiger sind technische Lösungen, um Ärzte und Pflegekräfte zu entlasten. Man kann gar nicht früh genug damit anfangen.“
Wobei zunächst erst Österreich seine Hausaufgaben machen müsse, so der Forscher zum KURIER. Anderswo (Skandinavien, Spanien, Portugal) habe man bereits einen nationalen Gesundheitsdatenraum geschaffen, „bei uns ist er trotz ELGA nach wie vor sehr fragmentiert“, was eine durchgängige, zielgerichtete Behandlung von Patienten sehr erschwere.
Zersplitterung
Schuld sei die Zersplitterung der Gesundheitsversorgung selbst. „Jeder Beteiligte kämpft um die eigene Finanzierung und hat damit auch kein Interesse daran, seine Daten mit den anderen zu teilen“, sagt Klimek. Er hofft, dass die Vorgaben auf EU-Ebene zur Schaffung des EHDS auch auf österreichischer Ebene zu den längst überfälligen Verbesserungen führen.

Komplexitätsforscher Peter Klimek
Neben der grenzüberschreitenden Optimierung der Patientenversorgung durch den EHDS ortet Klimek als Wissenschafter naturgemäß großes Potenzial für die Forschung, für die sich die Daten ebenfalls nutzen lassen – etwa zur Entwicklung neuer Medikamente. So müsste man dank EHDS für die bei der klinischen Erprobung neuer Wirkstoffe erforderliche Kontrollgruppe nicht mehr echte Patienten rekrutieren, sondern könnte sie je nach Anforderungen maßgeschneidert (bestimmtes Alter, Grunderkrankung etc.) mithilfe der Daten synthetisch nachbilden. „Damit ließe sich im Idealfall die Hälfte der Kosten bei der Entwicklung eines Medikaments einsparen“, ist Klimek überzeugt.
Mithilfe des EHDS könnte sich Europa auch aus der Abhängigkeit von US-Konzernen befreien. Zum Beispiel, wenn es um die Entwicklung von diversen digitalen Anwendungen im Gesundheitsbereich geht.
Daten für die Planung
Auf Basis der Daten ließe sich auch die politische Planung der Gesundheitsversorgung wesentlich verbessern, so der Experte. Während die Gesundheitspolitik aktuell nur allzu oft im Blindflug unterwegs ist, könnte man künftig exakt bestimmen, wo Versorgung und Prävention noch verbessert werden sollten.
25. März 2025
Der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) tritt nach Veröffentlichung einer entsprechenden Verordnung offiziell in Kraft.
2027
Die EU will festlegen, wie die Regelung im Detail im Alltag funktionieren soll.
2029
Die ersten Gesundheitsdaten (Patientenkurzakten und Rezepte) sollen EU-weit ausgetauscht werden. Auch die Nutzung für Forschungszwecke soll starten.
2031
Weitere Daten wie Röntgenbilder und Laborergebnisse kommen hinzu.
2034
Auch Länder außerhalb der EU können sich am EHDS beteiligen.
Über all dem steht die Frage, ob die heiklen Gesundheitsdaten, die künftig grenzübergreifend ausgetauscht werden, auch ausreichend geschützt sind. So äußert etwa die Ärztekammer die Sorge, sie könnten unkontrolliert in die Hände von privaten Konzernen geraten.
Bedenken, die Klimek nicht teilt: „Das Datenschutz-Problem ist rechtlich und technisch lösbar, wie die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen.“ Die EU-Verordnung für den EHDS würde vorschreiben, dass in jedem Land eine Stelle eingerichtet wird, die über die Bereitstellung von Daten für Forschungszwecke entscheidet. Antragsteller müssen ihr Projekt genau beschreiben und begründen können, welchen Nutzen es bringt. Zudem besteht für den Einzelnen die Möglichkeit, den Zugriff auf die eigenen Daten durch Gesundheitspersonal bzw. für Forschungszwecke einzuschränken. Es gilt also eine ähnliche Regelung, wie aktuell auf nationaler Ebene bereits für ELGA.
Mit dem Risiko, dass so viele davon Gebrauch machen, dass aus den verfügbaren Daten keine präzisen Ableitungen (etwa für die Versorgungsplanung gezogen werden können). Klimek abschließend: „Umso wichtiger ist es, dass die Politik der Bevölkerung den Nutzen des Projekts erklärt“.
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