Löwen der Haltung?

Löwen der Haltung?
Was darf man noch denken/sagen – und vor allem: Wer bestimmt das? Über das Meinungsdiktat eines heißen Sommers
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Der Sommer ist erst halb vorbei, und die mediale Aufregungspause muss noch ein Zeiterl befüllt werden. Bisher ist das ganz gut gelungen: Die europaweite Hitze samt den Bränden von Italien bis Griechenland hat uns sehr befasst. Sonst gab es regionale Aufregungs-Unterschiede. Die Deutschen zum Beispiel beschäftigen sich wieder mehr mit Brehms Tierleben, seit ein wackeliges Wildschwein-Video Löwinnenalarm auslöste und ein Land in Atem hielt. Hierorts fallen Politiker, Kommentatoren und Leserbriefschreiber wie Raubtiere übereinander her in der Debatte, was „normal“ und wie „präfaschistoid“ allein der Gedanke an das Wort ist.

Unser aller Christa Kummer hat übrigens, da verschmelzen die beiden Hauptaufregungen Hitze und Normalität, kürzlich in der Wetteransage arglos von einem „normalen Sommer“ ab kommender Woche gesprochen – das geht natürlich gar nicht!

Womit wir schon beim Punkt sind: Was geht eigentlich? Was darf man – noch?

Darf man, wie kürzlich die Neue Zürcher Zeitung, den Hitzejournalismus hinterfragen („Die Corona-Krise ist vorbei, aber die Medien haben einen neuen Krisenherd entdeckt: die Hitze“)? Nein, schon der Hinweis, dass die Formulierung „Die Hitze löste neuerlich Waldbrände aus“ grundfalsch ist, gilt als Klimawandelleugnung.

Darf man die Zuschreibung „normal“ harmlos finden und die politische/mediale Dominanz der Ränder da wie dort hinterfragen, ohne finsterster Ideologie geziehen zu werden? Und im übrigen belustigt beobachten, wie alle auf das Kalkül der Volkspartei hereinfallen, sich als Verteidiger der „schweigenden Mehrheit“ Watschen abzuholen – und Wählerstimmen?

Darf man es billig finden, dass sich alle über Django Karl Mahrer ereifern/brüllend lustig machen, der völlig recht hat, bestimmte Zustände in Wien unerträglich zu finden (und mit dem überzogenen Video-Mittel ebenfalls Stimmen fängt)?

Darf man gegen den Wolf und für das Bargeld sein, ohne sich dafür schämen zu müssen, nur weil die in vielen anderen Fragen unsägliche FPÖ mit untrüglichem Spürsinn auch dagegen und dafür ist?

Apropos unerträglich: Darf man es so finden, dass Feuilleton-Päpste und -Papsterln, die Kevin Spaceys Karriere in Grund und Boden schrieben, zum erwartbaren Freispruch (!) orakelten, dass der Hollywood-Star nicht ohne Anlass vom Sockel gestürzt worden sei?

Und vor allem: Wer setzt den Maßstab? „Die lauteste Meinung hat häufig nicht die leiseste Ahnung“, schrieb das Handelsblatt einmal über die stets aufgeregte Plusterei in der veröffentlichten Debatte und im unsozialen Netz. Das korrespondiert oft mit jenen, die sich – vermeintliche Löwen der aufrechten Haltung – im Wohlgefühl der eigenen moralischen Überlegenheit suhlen. Nicht nur im Sommer.

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