Nein, die Pandemie wird irgendwann vorbei – oder jedenfalls nicht mehr das alles überlagernde Thema – sein. Aber was macht Nehammer dann? Inwieweit wird er das, was sein Vorvorgänger eine „ordentliche Mitte-rechts-Politik“ genannt hat, umsetzen: ordungs-, standort-, bildungs-, gesellschafts-, europapolitisch? Gewiss kann man ihm nicht vorwerfen, dass er nicht überall schon seine Handschrift erkennen lassen hat. Aber ob da noch viel mehr kommt?
Wo lässt die von Nehammer geführte Kanzlerpartei erkennen, dass sie etwa Leistung, Freiheit und Wettbewerb fördern will? Dass sie die demografische Herausforderung (Pensionen!) annimmt? Oder aber, dass sie zumindest den ärgsten Auswüchsen in Sachen politischer Korrektheit und Identitätspolitik entgegenzutreten bereit ist?
Um nicht nur bei der Innenpolitik zu verharren: Wie will der Kanzler Österreich in Europa positionieren? Gibt es den – wünschenswerten – Mut, Positionen auch gegen den Mainstream zu beziehen, sei es in Richtung „frugale Vier“ (Achtung, Austeritätsalarm!), sei es in Richtung auch der „bösen Buben“ Ungarn und Polen? Wie halten wir’s mit dem Ex-EU-Mitglied Großbritannien? Gibt es eine Linie gegenüber den USA und Russland?
Bei all dem wäre naturgemäß mit viel Gegenwind – nicht nur, aber natürlich auch vonseiten des Koalitionspartners – zu rechnen. Darüber müsste heftig gerungen werden. Aber konstruktiver politischer Streit setzt eigene Standpunktfestigkeit voraus. Wer den Kompromiss vorwegnimmt, hat, so viel ist sicher, schon verloren.
„Er ist Amtsinhaber, Staatsmann muss er erst noch werden. Es gibt im Volk keine genaue Vorstellung davon, was die Leitidee seiner Kanzlerschaft sein könnte“, schrieb der deutsche Publizist Gabor Steingart gestern in seinem Blog. Gemeint war natürlich Olaf Scholz.
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