Weiter wurschteln als gäbe es kein Gestern?
Die Wirtschaftskrise schlägt auf die Wahl-Urnen durch. Das schreit nach tief greifenden Folgen
Bislang galt die Kür des Wiener Gemeinderats als Regionalwahl, die niemandem außerhalb des Landes eine Zeile wert war. Vergangenen Sonntag war Wien einmal mehr anders. "Die Wahl gilt als eine Art Referendum über die Akzeptanz der hunderttausend Flüchtlinge, die nach Europa strömen", resümierte allen voran die New York Times. Das Referendum ist (noch einmal) zugunsten eines humanitären Umgangs ausgegangen, die internationale Medienkarawane längst weitergezogen. Österreichs Polit- und Medienwelt ist wieder unbeobachtet unter sich.
Was läuft eine Woche danach eigentlich anders im Lande? In die Wiener ÖVP, wo das Haus lichterloh brennt, schickte der Parteichef seinen Generalsekretär als Krisen-Feuerwehr. Das blieb bislang die einzig greifbare Konsequenz des dramatischen Wahlsonntags. Abgesehen von jeder Menge heißer Luft: "Wir müssen uns genau ansehen, warum...". "Wir müssen die Kommunikationskanäle verbessern und auch neue nutzen..." Und: "Wir müssen mit der Realität in Kommunikation treten." Dieser Stehsatz war neu im Repertoire der handelsüblichen Sprechblasen und trägt das Copyright-Zeichen des neuen SPÖ-Bundesgeschäftsführers Gerhard Schmid.
Wirtschaftskrise schlägt auf Wahlurnen durch
Wird nun wahr, was Berufszyniker schon vor dem 11.Oktober zu wissen glaubten: Vor der Wahl ist nach der Wahl. Ab 12. Oktober wird wieder weitergewurschtelt als gäbe es kein Gestern? Seriöse Wahlforscher wie Fritz Plasser und Franz Sommer unterzogen den Stimmgang keiner Blitz-Analyse, sondern legten erst Tage danach ihren Befund vor: "Die Motiverhebung zeigt eine außergewöhnliche Spaltung und Polarisierung der Gesellschaft." Wien sei eine "zweigeteilte Stadt", in der die Kommunikation und Integration immer schlechter funktioniere.
Vereinfacht gesagt: Zwischen dem politischen Denken in den Bezirken innerhalb des Wiener Gürtels und den Flächenbezirken wie Simmering, Favoriten, Floridsdorf und Donaustadt liegen Welten. Am Beispiel der Flüchtlings- und Ausländerfrage: Hie die "generell" bis "kontrolliert Aufnahmebereiten" , dort die "Restriktiven". Hie die rot-grün-pinke Bobo-Welt, dort die blaue Wagenburg.
Für Ökonomen, die das Wahlergebnis unter die Lupe nahmen, liegen die Wurzeln noch tiefer: Die Wirtschaftskrise schlägt immer stärker auch auf die Wahlurnen durch. Immer mehr Menschen können sich immer weniger leisten. Ein Blick in den jüngsten Einkommensbericht des Rechnungshofes zeigt: Die niedrigen Erwerbseinkommen sinken. Die Schere zwischen Gut- und Schlechtverdienern geht immer weiter auf.
Die Regierungsparteien lassen als Garanten steigenden Wohlstands für alle aus. Ausländer und Flüchtlinge werden zum Sündenbock.
Was immer SPÖ-Manager Schmid mit seinem Satz gemeint haben will: Das ist "die Realität" mit der die Welt der gut abgesicherten Funktionäre zuallererst "die Kommunikation aufnehmen " müsste.
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