Van der Bellen ist wieder da

Die doppelte Premiere des Bundespräsidenten am Nationalfeiertag ist mehr als gelungen.
Josef Votzi

Josef Votzi

Die doppelte Premiere des Bundespräsidenten am Nationalfeiertag ist mehr als gelungen.

von Josef Votzi

über Alexander Van der Bellen

Es war seine erste Rede am Nationalfeiertag und, soweit erinnerlich, die erste TV-Ansprache, die ein Bundespräsident im Stehen absolviert hat.

Die Premiere ist alles in allem mehr als gelungen. Alexander van der Bellen hat die derzeit drängendsten Fragen für Hofburg-Verhältnisse offen angesprochen - und sich als Präsident aller Österreicher präsentiert.

Zuallererst dadurch, dass er ein Faktum aufs Podest hob, das in der Nachwahltrauer links und im Nachwahljubel rechts unterging: „Achtzig Prozent haben sich beteiligt an dieser Wahl, das ist ein Prozentsatz, der weltweit seinesgleichen sucht.“

Den Gewinnern dieser Wahl, Türkis und Blau, gestand der Ex-Grünen-Chef ohne Wenn und Aber den Auftrag zu regieren zu: „Das Resultat dieser Wahl zeigt einen Willen zur Veränderung (...) Im Rahmen der Wahlen denken wir regelmäßig darüber nach, was sich ändern soll. Und dass sich jetzt etwas ändert, ändert sich, weil Sie, liebe Österreicherinnen und Österreicher, es so entschieden haben. Das ist Sinn und Schönheit unserer Demokratie.“

Ex-Grüner für Türkis-Blau

Denn: „Der Stolz auf das Erreichte darf uns nicht träge machen. Es bedarf einer steten, behutsamen Veränderung, einer steten Überprüfung der bestehenden Verhältnisse, um das, was uns nicht mehr hilft, zu ersetzen durch das zukunftsträchtigere.“

Gleichzeitig mahnte Van der Bellen - wohl vor allem in Richtung FPÖ, die demnächst in der Regierung sitzt - ein: „Das Beachten der Grund- und Menschenrechte und der Rechte der Minderheiten. Das klare Bekenntnis zu Solidarität und Empathie, sodass der Stärkere dem Schwächeren hilft. Ein klares Ja zur europäischen Zusammenarbeit. Diese Werte stehen außer Streit. Sie sind das Fundament unserer Republik und unseres Zusammenlebens. Auf dieser Grundlage, und nur auf dieser Grundlage, sollten wir uns den Dingen widmen, die zweifellos verändert und verbessert werden müssen.“

Gegen Schluss seiner Rede verpackte der 73-Jährige einen Katalog an Wünschen an die neue Regierung: „Der zukünftigen Bundesregierung muss klar sein, dass sie spätestens zum Nationalfeiertag 2022, also in fünf Jahren, an folgenden Fragen gemessen werden wird: Werden wir ein Land sein, in dem die jungen Leute Chancen haben? (...) Wird es eine faire Balance zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik geben? Wird Österreich als unser aller gemeinsames Projekt erlebt werden und die Polarisierung ein Ende genommen haben? Werden die Menschenrechte bedingungslos geachtet? Wird klar sein, dass die Heimat Österreichs Europa ist?“

Moralisches Gewissen

Van der Bellen hat am Nationalfeiertag so erstmals auch für die breite Öffentlichkeit nachvollziehbar und sympathisch klar begründet: Gegen den vom Wahlergebnis her gebotenen Regierungsauftrag an Türkis und Blau kann und will er sich nicht stellen.

Dass er mit einem blauen Außenminister nicht leben will, hat er bereits informell signalisiert. Es sei denn, die EU-Agenden werden aus dem Außenamt herausgelöst - und die Reiseziele eines Ressortchefs Hofer oder Gudenus hießen nicht Brüssel, Paris oder Berlin, sondern Moskau, Washington oder Peking. In dieser Frage ist Van der Bellen übrigens eines Sinnes mit ÖVP-Chef Kurz, der weiß, dass die EU-Politik nicht zum blauen Spielball werden darf.

Den Blauen den Zugriff auf die EU-Kompetenzen verweigern kann aber nur Kurz und nicht Van der Bellen.

Der Präsident kann nur gegen die Vergabe eines Ministeriums an eine konkrete Person Einspruch erheben - wie zuletzt Thomas Klestil im Fall der von ihm abgelehnten FPÖ-Ministerkandidaten Thomas Prinzhorn und Hilmar Kabas.

Die Rolle des Bundespräsidenten in den kommenden Wochen bei der Regierungsbildung ist begrenzt und weitgehend kalkulierbar.

Offen und politisch spannend bleibt, was der Bundespräsident in den kommenden fünf Jahren aus seiner Rolle als moralisches Gewissen der Nation macht.

Die Rede zum Nationalfeiertag könnte ein Signal sein, dass es Van der Bellen nicht nur bei Neujahrsansprachen belassen wird.

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