Politik braucht mehr Wissen und Bildung
Spitzenpolitiker haben gelernt, sich in ihrer Partei durchzuboxen.
Ein 24-Jähriger kann als Staatssekretär gute Figur machen. Das hat Sebastian Kurz bewiesen. Jetzt, wo er für das Amt des Außenministers im Gespräch ist, geht es wieder um sein Alter, neuerlich eine unnötige Diskussion. Viel wichtiger ist die Frage, ob der inzwischen 27-jährige Mann Ideen, vielleicht gar Visionen für die Außenpolitik eines neutralen Landes in der EU formulieren kann, und ob er über das historische Wissen verfügt, um aktuelle Entwicklungen der Weltpolitik einordnen zu können.
Als Joschka Fischer im Jahr 1994 die hessische Landespolitik verließ, um für den Bundestag zu kandidieren, veröffentlichte er das Buch „Risiko Deutschland“. Er griff dabei den Titel eines 1931 erschienen Buches des Franzosen Pierre Vienot auf: „Incertitudes Allemandes.“
Genau darum ging es ja auch nach der Wende – um die Frage, ob ein geeintes Deutschland mit 80 Millionen Menschen in der Mitte Europas einen unsicheren Sonderweg gehen würde, oder ob die Deutschen eingedenk ihrer Geschichte in der Gemeinschaft der EU eingebunden bleiben. Natürlich wusste Fischer, dass ein rot-grünes Bündnis, das er schon damals anstrebte, im Westen aufmerksam nach seiner Verlässlichkeit beurteilt werden würde. Und ein ehemaliger linksradikaler Straßenkämpfer als Außenminister erst recht.
Denken als Grundlage für politisches Handeln
Vier Jahre später hatte er sein politisches Ziel erreicht, die rot-grüne Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder. Als deutscher Chefdiplomat konnte er auf sein Wissen aufbauen, das er sich auch als Autor erworben hatte. Vor allem aber hatte er eine politische Linie: Deutschland, friedlich und demokratisch geeint, dürfe nie wieder ein Risiko darstellen. Fischer argumentierte gegen jeden Sonderweg und für die Kontinuität der Bonner Republik. Das war auch bei den Grünen umstritten, aber Grundlage für eine stabile Regierung. Und wer Fischer gelesen hatte, konnte auch nicht davon überrascht sein, dass der Minister, die pazifistische Tradition der Grünen ignorierend, für den Einsatz deutscher Truppen im Kosovo-Krieg war. „Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.“
Welche österreichischen Politiker haben sich grundsätzliche Kenntnis ihrer Bereiche erworben? Das gilt ja nicht nur für die Außenpolitik, wo man klare Gedanken über die Aktivitäten eines neutralen Staates in der EU angesichts neuer geopolitischer Herausforderungen erwarten muss. Das gilt etwa auch für die Justiz, wo schon lange niemand formuliert hat, welche Ziele Justizpolitik haben muss und welche organisatorischen Konsequenzen dies hätte. Das gilt auch für die Infrastruktur, jenseits des beliebten Tunnelbaus. Oder die Aufgaben des Bundesheers.
Es muss ja nicht jeder Politiker gleich Bücher schreiben, aber auch in unserer rasanten Medienwelt merkt man schnell, ob jemand ein Thema verinnerlicht hat. Wenn nicht, merkt man das schmerzlich. Leider zu oft.
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