Opposition ist Mist? Koalition ist mühsam
Große Herausforderungen warten auf klare Entscheidungen.
Angela Merkel hätte bei dem EU-Treffen in Tallinn gerne mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron Details über die Zukunft Europas besprochen. Aber beide wussten, dass die deutsche Kanzlerin im Moment nichts versprechen kann, sie ist weit davon entfernt, eine Regierung bilden zu können. Und wenn es dann so weit ist, wird das Programm ein breiter Kompromiss von vier Parteien sein, die wenig gemeinsam haben, außer, dass sie einander misstrauen. Jamaika klingt fröhlicher, als es sein wird.
Nun ist Kompromiss gar nichts Schlechtes, im Gegenteil, Ausgleich und Nachgeben müssen Teil der Demokratie sein. Aber große Herausforderungen warten auf klare Entscheidungen. Diese werden uns ja auch im heimischen Wahlkampf versprochen. Weniger Steuern, weniger Bürokratie, bessere Schulen, sichere Pensionen, leistbare Pflege und was nicht noch alles. Freilich sind wir Österreicher gebrannte Kinder und haben schon viele Versprechen gehört. Und dann die regelmäßige Ausrede aller Parteien, die je an der Regierung waren, sie würden das ja alles umsetzen, hätten aber leider keine Mehrheit für ihre wunderbaren Ideen.
Die einfache Lösung heißt Mehrheitswahlrecht. Wer die relativ meisten Stimmen bekommt, soll vier Jahre lang die Chance haben, versprochene Ideen umzusetzen. Verbunden mit einem Persönlichkeitswahlrecht, das die Abhängigkeit der Abgeordneten von den Parteien deutlich reduziert, funktioniert das in Großbritannien, dem Mutterland der modernen Demokratie. Dort lernen wir noch etwas, nämlich, dass Opposition nicht Mist ist, wie Ex-SPD-Chef Müntefering einmal pfauchte und Landeshauptmann Niessl zitierte, sondern eine der Grundlagen des Staates. Es heißt nämlich "Her Majesty’s Most Loyal Opposition". Das ist die Opposition der Majestät, also des Souveräns. Die Kontrolle der Regierung ist genauso wichtig wie diese selbst. Und ganz persönlich ist es für den Oppositionsführer tröstlich, als "Prime Minister-in-waiting" bezeichnet zu werden. Da wartet jemand auf seine Chance, es besser zu machen.
Raus aus den Facebook-Blasen
Es gibt noch einen Grund für klare Entscheidungsstrukturen. Wie wir am KURIER-Tag wieder diskutiert haben, leben immer mehr Menschen in ihrer Facebook-Blase, lesen nur Meldungen, die ihrer Meinung entsprechen, meiden Kontakte zu Andersdenkenden. Manche Parteien nutzen das sehr geschickt, die betroffenen Menschen aber bekommen immer weniger von den politischen Auseinandersetzungen mit. Klare Regierungsmehrheiten werden zu deutlicheren Diskussionen führen, auch abseits der Wahlkämpfe. Es ist fast eine Mutprobe: Eine Partei, die sich vor einem Mehrheitswahlrecht fürchtet, glaubt nicht daran, Nummer 1 zu werden. Und noch etwas: Auch kleine Parteien werden es ins Parlament schaffen, wenn sie starke Persönlichkeiten aufstellen. Der Ruf nach dem Mehrheitswahlrecht wird nach der Wahl wieder kommen. Mal sehen, wer sich traut.
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