Letzter Versuch eines Befreiungsschlags
Also sprach der sozialdemokratische Parteichef: "Wir sind wirklich an die Grenze gegangen, was möglich war. Und vieles konnten wir auch bewegen. Aber nun haben sich die Gemeinsamkeiten erschöpft. Wir brauchen jetzt einen neuen Start, der über die Große Koalition hinausführt." Diese Sätze stammen nicht von Christian Kern, sondern von SPD-Chef Sigmar Gabriel (in einem großen Interview der jüngsten Ausgabe des deutschen Magazins Stern). Gedanken wie diese müssen auch SPÖ-Chef Kern durch den Kopf gegangen sein, als er Montag im Puls 4-Studio aus freien Stücken den Satz sagte: "Es gibt zwei Parteien, die dieses Land verändern wollen: die SPÖ und die FPÖ." Am Tag nach dieser gezielten Provokation des Koalitionspartners ÖVP legt er noch nach: Seine Geduld sei "am Ende". Entweder gebe es bis Freitag einen Katalog von Reformmaßnahmen samt Zeitplan für die verbleibenden 18 Monate bis zum Wahltermin – oder "es braucht diese Regierung nicht mehr". Sprich: Neustart oder Neuwahl.
Die Deadline des Oberroten für die Schwarzen ist gestern (noch) ergebnislos abgelaufen. Der SPÖ-Chef steht auch danach vor der gleichen unangenehmen Wahl: Entweder steht er nach Ablauf des Ultimatums als Kanzler beschädigt da oder seine Koalition fliegt endgültig in die Luft. In den Reihen seines sogenannten Koalitionspartners tun einige alles, damit aus diesem "Entweder-Oder" ein "Sowohl-als-Auch" wird. Ihr schlichtes Kalkül: Erst wenn auch Kerns "Django-Effekt" verpufft ist, ist es an der Zeit, vor den Wähler zu treten. Strategisches Planziel: Bis Herbst 2017 sollte es so weit sein.
Es regieren Misstrauen und Missgunst
Das sind alles keine gute Voraussetzungen, damit das gelingen kann, was jetzt zunehmend alle – einmal mehr – beteuern: Die Regierung schwingt sich noch einmal zu einem Neustart auf. "In einem kleinen Land müssen alle zusammenhalten", beschwor Christoph Leitl Donnerstagnacht den Gründungsmythos der Zweiten Republik. Wirtschaftskammerchef Leitl und ÖGB-Boss Foglar machten gemeinsam bei Kern & Mitterlehner massiv Druck aufs Weitermachen und gelobten im Gegenzug endlich dort Lösungen zu liefern, wo sie selber seit vielen Monaten säumig sind (siehe Bericht rechts). Die guten Vorsätze der Sozialpartner in Ehren, zur Stunde gibt es kein Signal, dass sich am Binnenklima in der Koalition etwas ändert: Es regieren Misstrauen und Missgunst. Einige wollen und können nicht mehr miteinander und schielen bereits in Richtung Blau, Grün und/oder Pink.
In diesem ungesunden Klima hat Kern im Mai 2016 den Kanzler-Job von Faymann übernommen. Kerns erster Befund deckte sich damals mit dem vieler Bürger: "Warum tu ich mir das an? Weil ich die Inhaltlosigkeit und leeren Rituale nicht aushalte – mir geht’s wie Ihnen als Staatsbürger." Nach einem halben Jahr droht sich auch der Kanzler zunehmend in diesem Kokon aus ideologischen Schaugefechten und inhaltsleeren Ritualen zu verfangen. Die kommenden Stunden und Tage werden zeigen, ob ihm der gewünschte Befreiungsschlag daraus noch gelingt.
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