Ist die Wahl wirklich schon gelaufen?

Warum es für Kern und Strache nicht nach Drehbuch läuft, woran Kurz’ Kanzlertraum noch scheitern könnte.
Josef Votzi

Josef Votzi

Der Dreikampf, Kern, Kurz und Strache rittern um den Sieg, fällt aus. Ob daraus noch ein Duell wird, bleibt offen.

von Josef Votzi

über Startaufstellung für die heiße Wahlkampf-Phase

Ein hoher SPÖ-Funktionär seufzte dieser Tage mit Blick auf die verbleibenden sechs Wahlkampfwochen bis zum 15. Oktober: "Das wird noch zäh, sehr zäh". Ist das Rennen tatsächlich schon gelaufen, wie Umfragen signalisieren? Nein, immer mehr Wähler entschieden sich erst in den letzten Tagen vor der Wahl. Mit dem morgigen Schulanfang in Ost-Österreich setzt auch der Intensivwahlkampf ein. Zeit also, zu versuchen, Fakten und Fiktionen zu sortieren.

Der Dreikampf fällt aus:

Der Plot "Kern, Kurz & Strache rittern um den Sieg" ist out. Ob daraus noch ein Duell Kurz – Kern um Platz 1 wird, bleibt offen, ist aber zunehmend unwahrscheinlich. Heinz-Christian Strache hat den Satz "Ich will Kanzler werden" erstmals gar nicht mehr in den Mund genommen. Für ihn und Christian Kern ging es zuletzt darum, wer im Kampf um Platz 2 obsiegt.

Kurz macht auf Kanzler, Kern wird zum Herausforderer:

Die guten Umfragewerte des Neo-VP-Chefs haben mit dem Wahlkampf so gut wie nichts zu tun. Er hat sich als Außenminister ein Kapital aufgebaut, von dem er heute zehrt. In der Flüchtlingskrise 2015 hat er als Erster gesagt, was die Mehrheit hören wollte: Wir schaffen das nicht. Macht er keine Fehler, kann er noch was drauflegen. Zeigt er Nerven, hat er noch reichlich Luft nach unten.

Was nach der Wahl kommt, bleibt bei Kurz & Kern im Dunkeln:

Kurz intoniert in vielen Stimmlagen allein seinen Dauerhit Migrations-Stopp. Alle Antworten auf den großen Rest an Zukunftsfragen blieb er hartnäckig schuldig. Ab kommender Woche verspricht er, erstmals in Sachen Soziales konkreter zu werden. Kern wechselt so oft Thema und Verpackung, dass sein Profil unscharf bleibt. Der Plan A war hochambitioniert, aber selbst SPÖ-Spitzenleute tun sich schwer, die Highlights, die beim Wähler hängengeblieben sind, zu nennen. Mal Pizzamann, mal Staatsmann; mal Mister Klassenkampf, mal Vorzeige-Manager. In der SPÖ wird die Parole ausgegeben: Spätestens in den TV-Debatten werde Kurz von Kern & Co entzaubert werden. Wenn es um konkrete Inhalte von Schule bis Schulden, von Arbeitslosigkeit bis Zentralmatura gehe, werde der Kanzler dank Plan A brillieren.

Wer mit wem regieren kann, entscheidet sich erst im Finale:

Was heißt das alles für die künftige Regierung? Je polarisierter das Finale, desto mehr Stimmen könnten bis zuletzt bewegt werden. Unter der Parole "Es geht um alles" hatte die SPÖ wiederholt ihre wackelnde Nr.-1-Position erfolgreich verteidigt (zuletzt Michael Häupl in Wien). 2002 hatte dieser Effekt Wolfgang Schüssel mehr als 40 Prozent der Stimmen beschert. Je mehr die ÖVP der FPÖ an Stimmen abnimmt, desto riskanter wird für Strache freilich Schwarz-Blau: Wer legt sich schon freiwillig für fünf Jahre mit seinem Vampir ins Bett? Je mehr die SPÖ im Finale an Rückstand Richtung Nr. 1 wettmachen kann, desto größer wird die Versuchung, Rot-Blau zu riskieren. Unwahrscheinlicher als bisher, aber noch lange nicht out ist ein Neustart in Schwarz-Rot, angeführt von Sebastian Kurz und Hans Peter Doskozil. Die Wahl 2017 bleibt so über den 15. Oktober hinaus hoch spannend.

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