Griss holt alte Tugenden wieder vor den Vorhang

Der Hypo-Bericht hat das Zeug zur Pflichtlektüre: Als Lehrstück über die fatalen Folgen mangelnder Courage.
Josef Votzi

Josef Votzi

Griss holt alte Tugenden wieder vor den Vorhang

von Josef Votzi

Über den Hypo-Endbericht

Irmgard Griss ging auch in ihrer aktiven Zeit Konflikten nicht aus dem Weg. Als Präsidentin des Obersten Gerichtshof legte sie sich, herzlich aber hart, mit Kollegen an, die elendslange Urteile schrieben, als müssten sie sich als Professoren habilitieren – und diese so formulierten, dass ein Nicht-Jurist nach der ersten Seite kapitulierte. Griss legt bis heute besonderen Wert auf eine knappe und klare Sprache. Das spiegelt sich auch im Hypo-Bericht wider, den die Höchstrichterin a. D. gemeinsam mit vier Finanz-Experten verfasste.

Die 344-seitige Langfassung ist selbst für Nicht-Banker lesbar, wegen der komplexen Materie aber eine Herausforderung (www.kurier.at/grissbericht). Die Lektüre der 17-seitigen Kurzfassung gehört samt gründlicher Aufarbeitung künftig in den Schul-Lehrplan. Sie liest sich wie eine Lehr-Fibel über urösterreichische Missstände.

Das erste Kapitel über den Ausgangspunkt der Hypo-Tragödie erschließt die Aussicht aufs fatale Finale. Über den Aufstieg der kleinen Kärntner Hypo zum Big Player Hypo Group Alpe Adria heißt es: "Es ist nicht erkennbar, dass Abschlussprüfer, Bankenaufsicht oder das Land Kärnten die ihnen offenstehenden Möglichkeiten in einem ausreichenden Maß genützt hätten, um auf eine Begrenzung der Risiken hinzuwirken." Alle kuschten vor Jörg Haider. Zum mangelnden Mut vor Fürstenthronen kamen schwere Interessenkonflikte mangels sauberer Gewaltentrennung. Besonders anschaulich an diesem Beispiel: "Der dramatische Anstieg der Haftung als Folge ungebremsten Wachstums führte zu höheren Einnahmen für das Land in Form der Haftungsprovisionen. Der Aufsichtskommissär befand sich in einem permanenten Interessenkonflikt, weil er als (Kärntner) Landesfinanzreferent an Budget-Einnahmen interessiert war, als (Kärntner) Aufsichtskommissär aber auf eine Begrenzung des Risikos hätte hinwirken müssen."

Hoch auf Pflichtbewusstsein statt Pfui-Finger

Fehlleistungen wie diese diagnostiziert der Griss-Bericht auf allen Ebenen: Von der Nationalbank bis zum Finanzministerium. Irmgard Griss und ihre Kollegen haben bewusst vermieden, mit dem Pfui-Finger auf die Akteure von damals zu zeigen. Wenn sich die öffentliche Debatte und der kommende U-Ausschuss nun allein darin ergehen, wird Österreich keinen Millimeter weiterkommen.

Was ansteht, ist eine Aufarbeitung der kranken Strukturen, die das kollektive Versagen möglich machten: Parteien und Partien geben und nehmen Posten. Die Loyalität gilt zuallererst dem Postengeber und nicht dem Steuerzahler. Wer aus Partei oder Partie ausschert, gefährdet sein Weiterkommen. Wer schlicht seine Pflicht tun will, muss mit Pönalisierung statt Beförderung rechnen.

Der Griss-Bericht wird so auch zum Lehrstück über die fatalen Folgen mangelnder Zivilcourage. Am Ende jedes Kapitels steht der unausgesprochene Appell: Es ist hoch an der Zeit, bewährte Tugenden wieder hochzuhalten, die nur altmodisch klingen. Sie heißen Pflichtbewusstsein, Konsequenz und persönliche Verantwortung.

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