Ehrlichkeit lohnt sich nicht nur im Abgang

Flunkern und Floskeln zu "Lebzeiten" , Offenheit erst beim Rücktritt? Was wir von Glawischnig & Co lernen.
Josef Votzi

Josef Votzi

Medienkonsumenten interessieren sich für das Leben in einer Redaktion in etwa so brennend wie für das in der Küche, wenn sie im Restaurant sitzen. Da wie dort zählt, ob das, was bestellt wurde, wie erwartet und rechtzeitig auf den Tisch kommt. Mit dem Alltag der Köche will niemand behelligt werden.

In einem Fall lohnt es sich eine Ausnahme zu machen und zu einem Besuch in die "Küche" des KURIER, den Newsroom, einzuladen: Hier sitzt in Hochproduktionszeiten eine bunte Truppe aus Layoutern, Producern und Redakteuren aller Ressorts. Besucher sind immer wieder verwundert, dass es hier nicht besonders laut zugeht, sondern eher wie in einem Bienenstock brummt. Als dieser Tage die Rücktritts-Erklärung von Reinhold Mitterlehner live am Riesenbildschirm alle für zehn Minuten gemeinsam in den Bann zieht, wird es danach ungewöhnlich laut. Im Newsroom kommt spontan lang anhaltender Applaus auf. Nicht, weil da wieder einer geht, sondern weil er offen wie nie darüber geredet hat, wie es in der Politik wirklich zugeht und warum er sich das nicht mehr antun will.

Grüne polarisieren an sich, Eva Glawischnig als grüne Spitzenfrau noch mehr. Ihr Rücktritt bewegte aber alle ähnlich emotionell. Alexander Van der Bellen hat recht, wenn er im KURIER-Interview sagt, zwei Rücktritte von Parteichefs innerhalb von acht Tagen "sollten uns sensibilisieren: Denn Sie haben beide als einen der Gründe die Verletzlichkeit als Mensch genannt" (siehe Seite 4). Seriöse Medienmacher und Vertreter der Zivilgesellschaft rufen zu Recht dazu auf, Stil und Ton nicht weiter verrohen zu lassen.

Schlüsselwährung Vertrauen

Moralische Appelle sind wichtig, aber kommen und gehen. Einen handfesten Weg aus dieser Sackgasse haben dieser Tag zwei Spitzenpolitiker erst im Abgang grell ausgeleuchtet. Mitterlehner und Glawischnig sind in der Stunde ihres Rücktritts so viel Sympathie und Vertrauen zugeflogen wie selten an einem Tag in ihrem politischen Leben. Das liegt nicht daran, wie zynische Postings unterstellen, weil sie endlich gehen. Sondern weil sie das Gefühl vermittelt haben, endlich ein wenig von dem zu offenbaren, was sie in den letzten Monaten politisch und persönlich wirklich bewegt hat.

Politik-Konsumenten sind allein dankbar dafür, wenn einmal öffentlich nicht gelogen, geflunkert und um den heißen Brei herumgeredet wird. Deswegen haben sie noch nicht eine Sorge um den Job und die Ausbildung ihrer Kinder weniger. Aber es entzieht dem gängigen Vorurteil neue Nahrung: Wer auf der politischen Bühne über alles mit Flunkern und Floskeln drüberwischt, von dem ist auch hinter den Kulissen nichts anderes zu erwarten. Das Misstrauen in "die da oben" und in die Demokratie an sich nimmt europaweit gefährlich zu. Der fatale Irrglaube an den starken Mann geht wieder um. Stabiles und belastbares Vertrauen sind die Schlüsselwährung im politischen Geschäft. Je mehr Politiker zu "Lebzeiten" offener reden, desto mehr werden Wähler und Gewählte davon profitieren.

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