Die Schul-Revolution muss von oben kommen

Das miserable Zeugnis für die "Neue Mittelschule" sollte endlich den Weg zu mehr Autonomie frei machen.
Josef Votzi

Josef Votzi

Die Schul-Revolution muss von oben kommen

von Josef Votzi

über die Schule

Der Gratis-Boulevard ruft am Tag 1 nach dem miserablen Zeugnis für die "Neue Mittelschule" (NMS) den bevorstehenden Rücktritt von Gabriele Heinisch-Hosek aus. Am Tag 2 darf die Ministerin ausführlich begründen, warum sie jetzt doch sicher bleiben wird. An der Bildungsmisere würde ein Menschenopfer auch dann nichts ändern, wenn an diesem Latrinengerücht auch nur irgend etwas dran wäre.

Denn eine Erfahrung verbindet auch politisch und charakterlich so total unterschiedliche Menschen wie die streitbare Konservative Elisabeth Gehrer und die kreuzbrave Parteisoldatin Gabriele Heinisch-Hosek: Die Minister kommen und gehen, der Stillstand in der Schulpolitik bleibt.

Ein Mahnmal dafür steht in Wien-Liesing: Dort wurde die erste Gesamtschule Österreichs vor nunmehr 40 Jahren errichtet. Bis Mitte der 80er-Jahre gab es zwar 120 weitere Gesamtschul-Versuche. Wien-Liesing blieb aber die "einzige echte Gesamtschule" (Pädagogik-Experte Karl Heinz Gruber) mit Schülern aus dem gesamten Begabungsspektrum und einer gymnasialen Lehrerschaft – ein Dauerprovisorium ohne jede nachhaltige Folgen. Denn der politische Frontverlauf zwischen Rot und Schwarz ist hier 2015 genauso einzementiert wie bei der Grundsteinlegung des Pionierprojekts.

Halbherzig und zentralistisch

Dabei ist die schulpolitische Debatte unter Experten abseits der Parteipolitik längst viel weiter. Der KURIER-Kolumnist und Bestsellerautor Niki Glattauer ist mit Leib und Seele NMS-Lehrer. Er glaubt an das Reformmodell, beklagt aber, dass es sich wegen seiner Halbherzigkeit selbst im Weg steht. Der Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann sieht in der fehlenden Autonomie eine Hauptursache für die ernüchternde erste NMS-Bilanz: "Man kann nicht eine Form der Neuen Mittelschule allen Standorten überstülpen. Die NMS in einem sozial schwierigen Gebiet muss ganz anders arbeiten können als eine NMS im Zillertal. Das ist in dem derzeitigen System kaum möglich."

Die rot-schwarze Reformgruppe der Regierung in Sachen Bildung verspricht nun genau das: Die Schulen sollen Schwerpunkte setzen, den Alltag im Klassenzimmer frei bestimmen und die Lehrer selbst auswählen können. Warum soll der x-te Anlauf, das bleierne Schulsystem flügge fürs 21. Jahrhundert zu machen, aber diesmal gelingen? "Der Leidensdruck in der Schule ist jetzt groß genug" sagt der mächtige NÖ-Landeshauptmann Erwin Pröll, Mitglied der Reformgruppe.

Die wirklich großen Zäsuren in der Politik kamen in Österreich schon öfter von unerwarteter Seite. Die Notbremse bei der total kaputten Verstaatlichten zog etwa zuletzt der Sozialdemokrat Ferdinand Lacina. Österreich ist noch immer ein Obrigkeitsstaat. Es klingt paradox, aber es ist der Schlüssel zur Veränderung; Die Schule kann nur dann besser werden, wenn sie von oben mehr Freiraum erhält und in die Autonomie entlassen wird.

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