Die ÖVP-Krise spiegelt die Lage des Landes

Das Regierungsprogramm bringt zu wenig Reformen. Das wird noch in beiden Parteien diskutiert werden.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Kein Wunder, wenn in der ÖVP die Nervosität steigt.

von Dr. Helmut Brandstätter

über die ÖVP-Krise

Natürlich kann man sich in den Wind stellen und diesen deutlich auffordern, doch in die andere Richtung zu wehen. Aber die Chance auf Erfolg ist ungefähr ebenso so groß, wie wenn ein ÖVP-Chef seinen Landeschefs das Schweigegelübde auferlegt. Naturgewalten unterliegen eben eigenen Gesetzen.

Es war nur eine „Routinesitzung“ in der Nacht auf Montag, hieß es gestern. Der Realitätssinn ist also noch nicht ganz in der ÖVP eingekehrt. Aber immerhin gibt es jetzt keine Denkverbote mehr. Noch besser wäre es gewesen, der Chef hätte der Parteispitze Denkaufgaben gestellt. Denn er wird doch nicht im Ernst glauben, dass das wenig ambitionierte Regierungsprogramm als Arbeitsgrundlage für die kommenden fünf Jahre reicht.

Die Wirtschaft sollte entfesselt werden, vor den Wahlen wurden 420.000 neue Arbeitsplätze versprochen. Und die erste Maßnahme der neuen Regierung besteht darin, Unternehmer und damit Leute, die Arbeitsplätze schaffen sollten, zu behindern. Entgegen so manchem Vorurteil sitzen Unternehmer nicht in riesigen Villen und lassen sich von ausgebeuteten Arbeitern die Schuhe polieren, während sie fröhlich Koupons schneiden. Das sind vielmehr Frauen und Männer, die überwiegend weniger verdienen als Angestellte, dafür aber Arbeitszeiten haben, die gegen alle einschlägigen Gesetze verstoßen.

Unternehmer zahlen pünktlich ihre Mehrwertsteuer, während insbesondere der Staat sich gerne ein halbes Jahr Zeit lässt, bevor er Rechnungen bezahlt. Wenn jetzt die GmbH light wieder halb zurückgenommen wird, ist das kein gutes Signal.

Reformen sollen die anderen treffen

Bei den Schulen wiederum nerven die seit Jahrzehnten laufenden Diskussionen über Türschilder. Die Erfordernisse für erfolgreiches Lernen sind in Wien-Favoriten andere als im Pitztal. Hier hat der Föderalismus einen Sinn: Alle Kinder müssen dieselben Chancen haben. Wie das umzusetzen ist, wissen die Betroffenen am besten.

Kein Wunder, wenn in der ÖVP die Nervosität steigt. Denn mit den Neos gibt es eine bürgerliche Gruppierung, die anstatt über Denkverbote über Lösungen nachdenkt. Der SPÖ könnte diese Entwicklung noch bevorstehen. Auch im linken Lager wächst die Unzufriedenheit damit, dass alle Reformen im Stau stehen. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass sich links von der SPÖ eine Gruppierung bildet.

In einer Koalition können nie beide Parteien ihr Wahlprogramm durchsetzen. Aber diesmal war der Eindruck besonders groß, dass man lieber die Reform des Partners blockiert, als eigene Ideen durchzusetzen.

Ab heute sitzt die Bundesregierung bei ihrer ersten Klausur zusammen. Es sollte sich bald die Erkenntnis durchsetzen, dass das Regierungsprogramm nicht reichen wird. Die Österreicher wollen zwar am liebsten nur Reformen, die die anderen treffen. Aber Mutlosigkeit und Denkverbote werden bestraft.

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