Der Tag der Fahne trägt heuer Halbmast

Am 60. Geburtstag von Staatsvertrag und Neutralität gäbe es viel zu Feiern – und einiges endlich zu bereden.
Josef Votzi

Josef Votzi

Von Feierstimmung keine Spur: Vater Staat begeht den 60er der Freiheit Österreichs wie alle Jahre wieder.

von Josef Votzi

über den National-Feiertag 2015

Die Staatsvertrags-Generation hat den 26. Oktober noch als "Tag der Fahne" in Erinnerung. Im ganzen Land wurden bis in die 70er-Jahre Gebäude beflaggt. In großen Wohnbauten fiel jeder auf, der nicht zumindest ein rot-weiß-rotes Fähnchen aus dem Fenster hängen hatte. Eine Mischung aus bewusstem Stolz und patriotischem Mitläufertum prägte den Tag. Der Anlass für den seit 1965 auch arbeitsfreien Feiertag verschwamm immer mehr: Der Staatsvertrag im Mai 1955 war der erste Schritt in Richtung Unabhängigkeit. Erst nach dessen Ratifizierung durch alle Besatzer hatten sie Österreich endgültig zu verlassen. Diese Frist endete am 25. Oktober 1955. Österreich war ab dem 26. Oktober 1955 so de jure und de facto ein freies Land.

Heuer jährt sich dieser Tag zum 60. Mal. An sich eine Zäsur, um ihn besonders zu feiern. Vater Staat begeht den 26. Oktober 2015 wie alle Jahre wieder. Das Bundesheer lädt zur mehrtägigen Leistungsschau auf den Heldenplatz; Bundespräsident, Kanzler und Minister öffnen ihre Büros zum Tag der offenen Tür.

Die Mehrheit der Österreicher nutzt das lange Spätherbst-Wochenende zu Kurztrips ins Ausland und Wanderausflügen. Von Feierstimmung keine Spur.

Dabei gäbe es viel zu feiern: Die 60 Jahre seit 1955 sind eine großartige Erfolgsstory.

Dabei gäbe es auch einiges zu bereden: Zum 60er wirken das Land und seine Repräsentanten müde.

Österreich ist ein lebenswertes und liebenswertes Land. Österreicher, die berufsbedingt anderswo leben, erzählen gerne, dass sie bei jedem Heimatbesuch Dinge mehr zu schätzen lernten, die sie früher als selbstverständlich empfanden: Das Gefühl der Sicherheit und des sozialen Ausgleichs; ein breites Angebot an Kultur und ein vergleichsweise gemächlicher Lebensrhythmus.

Wo sind die Helden von heute?

Was gerade an Tagen wie diesen spürbar fehlt, sind moralische Leitfiguren und natürlich gewachsene Autoritäten. Der 88-jährige Ausnahme-Journalist Hugo Portisch gehört zu den wenigen, denen im Land noch jeder gerne aufmerksam zuhört. Just zum 60stenGeburtstag von Staatsvertrag und Neutralität meldet er sich einmal mehr deutlich zu Wort. Hugo Portisch räumt mit einigen Legenden und Lebenslügen gründlich auf: Die Neutralität hat uns militärisch nie geschützt; im Kriegsfall hätten Besatzungsmächte von gestern keine Sekunde darauf Rücksicht genommen.

Was der EU heute schmerzlich fehlt, meint Portisch, ist die Bereitschaft, ihre Werte auch militärisch gemeinsam gegen den IS und andere aktuelle Bedrohungen zu verteidigen. Denn, das hätten schon die alten Römer gewusst: "Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor."

Auch darüber lohnte es sich, zum 60er der Neutralität zu reden. Dank großer Österreicher wie Hugo Portisch ist die Debatte darüber ohne falsche Rücksichten oder gefährliches Pathos eröffnet . Sie wird auf Dauer nicht zu verdrängen zu sein.

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