Das Mittelalter ist lebendig

Ricardo Peyerl

Ricardo Peyerl

Das Mittelalter ist lebendig

von Ricardo Peyerl

über den österreichischen Strafvollzug

Der KURIER hat vor 27 Jahren in der Justizanstalt Wien-Josefstadt das Mittelalter gefunden: Gefangene, die renitent waren, wurden in fensterlosen Räumen im Keller in Käfigbetten gesperrt. Die Käfige unterschieden sich kaum von denen im Zoo, sie waren zwei Meter lang, einen Meter hoch, einen Meter breit, man konnte darin nicht stehen, kaum sitzen, nur liegen. Im Justizministerium zeigte man sich fassungslos.

13 Jahre später stieß das Anti-Folter-Komitee des Europarates bei einem Kontrollbesuch auf dieselben Käfigbetten. Und wieder zeigte man sich im Justizministerium ganz erstaunt, man habe davon gar nichts gewusst.

Noch einmal 14 Jahre später ist der österreichische Strafvollzug vom Mittelalter offenbar noch immer nicht weit genug entfernt: Erst wenn Verwesungsgeruch aus einer Zelle strömt, kommt jemand nachschauen – und findet einen vergessenen Gefangenen mit verkrusteten Geschwüren und zentimeterlang aufgebogenen Zehennägeln wie bei einem Greifvogel.

„Moralische Abstumpfung“ nennt es Volksanwältin Gertrude Brinek. Ein Strafvollzugsexperte sagt, Teile der Justizwache würden heute noch dem „harten Lager“ und den „Fasttagen“ nachtrauern, die es früher für nicht angepasste Gefangene gab. Solange das Mittelalter in der Einstellung verankert ist, wird der Strafvollzug nicht im 21. Jahrhundert angekommen sein.

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