Europa muss sich der Kriegsrealität stellen

Die pro-russischen Separatisten sind nicht einfach nur Rebellen, sie sind eine hochgerüstete Streitmacht.
Stefan Schocher

Stefan Schocher

Die pro-russischen Separatisten sind nicht einfach nur Rebellen, sie sind eine hochgerüstete Streitmacht

von Stefan Schocher

über den Ukraine-Konflikt

Es stehen viele Fragenzeichen hinter dem Abschuss in der Ostukraine. Zu viele, um letztgültig zu sagen, wer, womit und warum geschossen hat. Und man wird es vermutlich nie exakt erfahren. Fakt ist aber: 298 völlig unbeteiligte Menschen sind tot – Malaysier, Deutsche, Australier, Niederländer. Und eingetreten ist der vorhersehbare Modus der vergangenen Wochen: Kiew beschuldigt pro-russische Separatisten; Moskau sowie die pro-russischen Separatisten beschuldigen wiederum die Ukraine. Und im Westen Europas rauchen ohnehin seit Ewigkeiten die Köpfe, wie mit der Situation in der Ostukraine generell verfahren werden soll, ohne zu einem Schluss zu kommen. Als wolle man die Antwort auf die Frage, was denn da vor sich geht, nicht wahrhaben. Und die lautet: Es ist Krieg – das ist keine interne Krise, kein Aufstand oder sonst etwas.

Ein Krieg ist ein Krieg, auch wenn er nicht erklärt wurde; auch wenn ihn Saboteure ohne Kennung und Hoheitsabzeichen führen; auch wenn es großteils eine bezahlte Soldateska ist, die mit schwerem Gerät hantiert und nicht reguläre Truppen – Wallenstein lässt grüßen. Und all das zumindest mit Duldung Russlands.

Formlos

Dieser Krieg wird einfach nur geführt. Zynisch, ganz ohne lästige diplomatische Formalitäten und Umgangsformen. Und genau das macht ihn so schauerlich – weil es ihn nach internationalem Regelwerk nicht gibt. Und da ist noch etwas: Letztlich ist es ein Krieg gegen ein assoziiertes Mitglied der EU, der da geführt wird. Daran ändert keine Schreckstarre etwas. Und auch keine Sonnenschein- oder Realitätsverweigerungspolitik europäischer und vor allem auch österreichischer Staatenlenker, die inmitten dieses Schlamassels Felle retten wollen und Pipeline-Deals unterzeichnen oder Rüstungsverträge bekräftigen – um "Gesprächskanäle" offenzuhalten.

Russland hat eingestanden, auf der Krim sein Militär eingesetzt und so Territorium annektiert zu haben – etwas, das seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa in dieser Form nicht vorgekommen ist. Allen Mahnungen aus Europa oder den USA zum Trotz ist Russland bisher ohne echt schmerzhafte Folgen davongekommen.

Und in der Ostukraine? Es rollen Kampfpanzer und Kriegsgerät nahezu tagtäglich in kilometerlangen Konvois über die Grenze. Und diese – nach den Worten Russlands – Volksmilizen sollen keine Verbindung zum offiziellen Russland unterhalten? Wenn dem so sein sollte, steht Russland vor dem Ende. Es gibt Satellitenbilder, es gibt Technologie, die jede Verbindung mit dem Internet registriert oder jedes Telefonat – was braucht es, um Europa wachzurütteln? Eine Kriegserklärung?

Der Abschuss eines Zivil-Jets ist inmitten dieser Tragödie leider nicht mehr als ein tragischer Zwischenfall, der heraussticht aus dem Wahnsinn eines Krieges, den wir offenbar nicht wahrhaben wollen. Vielleicht aber wird er zum Anlass, dass Brüssel – und auch die hiesigen Volksvertreter – endlich eine klare Sprache finden.

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