Zündstoff: Ventil und Sündenbock
Für politisch vernetzte Menschen ist es oft schwer zu begreifen, dass Lionel Messi vielleicht sogar berühmter ist als Angela Merkel; und dass der Transfer von Marc Janko zu Porto ein viel spannenderes Stammtischthema sein kann als das 69. Schuldenbremsmanöver diverser Faydeleggers. Fußball ist ein Phänomen – reden wir nicht über Relevanz. Seit Generationen kokettiert Reich und (oft gar nicht so) Schön mit der Ignoranz dieser an sich friedlichen Massenbewegung. Von Fußball nichts zu verstehen, ist irgendwie geil. Erst wenn sich die (oft gar nicht so blöden) Kicker bis auf die Knochen blamiert haben, werden sie plötzlich interessant.Die besten Fußballer verdienen so viel Geld, dass ihnen all die pseudointellektuellen Vorurteile wurscht sind. Verglichen mit dem leistungsbezogenen Verdienst mancher Politiker ist das zumindest nicht ungerecht.Doch wehe, die hohe Politik wird wieder einmal von ihrer eigenen Unfähigkeit überrollt. Dann sind der Fußball und die dummen Menschen, die hinter ihm herlaufen, an allem schuld.So passiert, als die Regierungen von El Salvador und Honduras ihr Flüchtlingsproblem nicht in den Griff bekamen und einen Krieg begannen, bei dem zum letzten Mal einmotorige Propellermaschinen gegeneinander kämpften. 1969! (Auf beiden Seiten Made in USA, versteht sich.) Bei einem WM-Quali-Match entlud sich der Zorn beider Völker. Die folgenden 100 Stunden dauernden Gefechte gingen zu Unrecht als "Fußballkrieg" in die Geschichte ein. Natürlich waren es wahnwitzige Hooligans, die im Mai 1985 die Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion auslösten, wo 39 Menschen starben. Doch hinter solchen Ereignissen steckt ausnahmslos soziale Ungerechtigkeit, mangelhafte Bildung und Jugendarbeitslosigkeit – oft genug mitten im Wohlfahrts-Europa. Oder eben der politische Bankrott eines Systems wie jetzt in Ägypten.Was soll böse daran sein, wenn 22 Menschen einem Ball nachlaufen? Böse sind alle, die die Massenwirkung dieses Balles missbrauchen.
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